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Von Viren und Tuten

In Zeiten des neuen Corona-Virus werden viele Arbeitnehmer*innen zur Sicherheit in die Zwangspause geschickt – aber ein Arbeitsplatz in Münster ist offenbar völlig sicher: Die Türmerstube!

Hier oben auf St. Lamberti ist jede Steckdose und jedes Gerät durch das städtische Amt für Immobilienmanagement geprüft worden, die Feuerwehr ist im Besitz eines Ersatzschlüssels zur Türmerstube und würde mich im Notfall ratzifatzi retten können – ich fühle mich sowieso schon seit Jahr und Tag äußerst sicher.

Aber jetzt, wo ich stündlich neue Nachrichten über die ernstzunehmende Ausbreitung von COVID-19 mitbekomme, Veranstaltungen abgesagt und alles mögliche geschlossen und abgeriegelt wird, ist mir sehr bewusst, wie sicher mein derzeitiger Arbeitsplatz tatsächlich im Vergleich ist:

Keine Kolleg*innen, kein Publikumsverkehr, keine Notwendigkeit zur Sorge oder gar Panik wegen einer möglichen Ansteckungsgefahr.

Foto: Birgit Leimann; Sonnenuntergang
Friedlicher Sonnenuntergang hinter der Überwasserkirche –
Foto: Birgit Leimann

Ein Türmer (jetzt eine Türmerin) ist hier immer auf sich allein gestellt. Weit geht der Blick über die Stadt Münster, weiter ins Land Westfalen hinein, der Teutoburger Wald, die Baumberge, die vielen Windräder am Horizont, das Kraftwerk in Ibbenbüren… Die Straßen sind merklich leerer als sonst üblich.

Doch kürzlich sehe ich noch Nachtwächterkollegen mit einer Handvoll Gäste, die staunend auf dem Prinzipalmarkt stehen und mir nach dem Friedenssignal winken. Ein bisschen gesellschaftliches Leben findet also statt.

Ich gehe gedanklich zurück und lasse meine bisherigen Recherchen Revue passieren – das Leben und der Arbeitsalltag meiner Vorgänger in vergangenen Jahrhunderten interessiert mich sehr.

Die frühesten Erinnerungen an Türmer in Münster stammen aus dem 14. Jahrhundert, als die Pest 1382 unzählige Tote gefordert hatte. Ein Jahr später noch eine Katastrophe: Es brannte lichterloh und die Türmer läuteten die Brandglocke…

Wie mag damals der Blick von hier oben gewesen sein?
Was mögen meine Vorgänger gedacht und erlebt haben?

Damals wurde von bürgerlicher und geistlicher Welt gemeinsam eine Bitt- und Bußprozession ins Leben gerufen – die Große Prozession wird bis heute jedes Jahr durchgeführt, wenn auch im Laufe der Jahrhunderte immer mal wieder verändert.

Heute im Angesicht einer anderen, aber nicht minder lebensbedrohlichen Katastrophe, zünde ich eine Kerze an und bitte still darum, dass Krankheiten besiegt werden und Kriege enden mögen.

Ein herzlicher Dank geht an Herrn K. für die poetische Aufmunterung in diesen widrigen Zeiten – ich möchte euch gerne daran teilhaben lassen:

Die Sängerin

Kleine tapfre Vogelseele,
Die so mutig aufwärtsdringt,
Kleine helle Vogelkehle,
Die so glockentönig singt.

Mögen dir die Götter geben,
Daß dich nichts mehr niederzieht!
Werde dir das Lied zum Leben!

Und das Leben dir zum Lied!

(Aus der Sammlung Lieder und Bilder 
von Anton Alfred Noder, 1864-1936, Arzt und Dichter)

Und jetzt gibt es erstmal ein herzliches Tuten!

Ich wünsche euch allen
Gesundheit,
Fröhlichkeit und
Sonnenschein!

Eure Türmerin von Münster

4 Kommentare

  1. Benedikt von Plettenberg

    Home Office würde bei Dir ja auch wenig Sinn machen.

    Danke für Deine Sicht der Dinge, und bleib gesund!

    • Türmerin

      My home (office) is my tower 😉

  2. Tillmann

    Hallo, sehr schön zu lesen.
    Findet dies denn heute auch noch statt?
    Es geht nicht daraus hervor, ob dies noch angeboten wird.
    L G und weiter alles Gute
    M. Tillmann

    • Türmerin

      Ja sicher wird weiter getutet! Wir trotzen der Pest, den Wiedertäufern und der Corona!
      Jeden Abend außer dienstags. Denn dienstags brechen in Münster keine Brände aus und es kommen keine Feinde herangeritten. Statistisch erwiesen 😉

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