Eins steht fest: Ein Türmer / eine Türmerin sollte kein Höhenangst haben. Das Beitragsfoto zeigt die Türmerin von Münster in 75m Höhe an ihrem Arbeitsplatz auf St. Lamberti, es stammt von Roman Mensing. Da Höhe immer wieder ein Thema bei Gesprächen und Interviews ist, gibt es jetzt hier einen kleinen Beitrag über das, was ein Turm (oder ein Berg oder ein Heißluftballon oder ein Flug auf dem Besen…) beim Menschen auslösen kann (aber nicht muss). Die Grundlage des Beitrages lieferte u.a. der Artikel „Hier geht’s runter“ von Patrick Illinger, erschienen in der Süddeutschen Zeitung Nr. 106 vom 9./10. Mai 2015.
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In Münster kennen wir z.B. Goethes Totentanz und die Legende des reichen Bürgers als Grund für ein Tut-Verbot Richtung Osten. Wieviel Wahres oder Zusammengereimtes jeweils in den Erzählungen steckt, ist nicht vordergründig wichtig, geht es doch vor Allem um eine gute Story, die von Türmer zu Türmer zu Türmerin weitergegeben werden kann, nicht zuletzt auch als Stoff für Interviews.
In Rouen, Nordfrankreich, kennt man auch solche Stories – z.B. die Legende des Tour de Beurre (Butterturm). Eine der (gefühlten tausend oder mehr) Geschichten, die sich darum ranken und die ich selbst von meinem Großvater gehört habe, möchte ich hier vorstellen:
Der Rat der Stadt berief einen jungen Baumeister, einen prächtigen Turm für die Kathedrale zu bauen. Dieser hatte Sorge, er schaffe es nicht alleine und paktierte daher mit dem Teufel. Der Teufel wollte als Dank für seine Hilfe (natürlich) die Seele des Baumeisters. Der Turm wurde in einem Jahr fertig und der junge Baumeister wurde gefeiert.
Ihm war aber nicht nach Feiern zumute, ständig dachte er darüber nach, aus dem teuflischen Vertrag herauszukommen. Er bot dem Teufel an, dass dieser seine Seele sofort haben könnte und nicht erst viele Jahre auf seinen Tod warten warten müsste. Alles was der Teufel dafür tun müsste:
Sky Run!
Innerhalb des Geläuts der zwölften Stunde von unten nach oben zur Türmerstube rennen, vor dem letzten Glockenschlag oben angekommen sein. Dann gehörte die Seele ihm – anderenfalls sollte der junge Mann aus dem Vertrag entlassen werden.
Gesagt, getan, ein Teufel, ein Wort. Er rannte „wie der Teufel“ los, rutschte allerdings im oberen Drittel auf den butterbeschmierten Stufen aus und schaffte es nicht rechtzeitig… und verschwand in einer Schwefelwolke. Der listige Baumeister und seine Seele waren gerettet!
Der historische wahre Kern der Geschichte ist aber wahrscheinlich:
Die Bauarbeiter wurden beim Bau des Turmes der Kathedrale von Rouen mit den Geldern aus dem Verkauf der alljährlichen Butterspende der Bürger bezahlt. Butter wurde in den Haushalten selbst hergestellt und während der Fastenzeit vor Ostern den Kirchenvertretern gespendet, welche sie verkauften, um den Turmbau bezahlen zu können.
Aber Sky Run des Teufels und mit Butter beschmierte Turmtreppe klingt ungleich cooler als Erklärung, warum der Tour de Beurre als „Butterturm“ in die Geschichte eingegangen ist. Was den Seemännern ihr Seemannsgarn ist eben den Türmern ihr Türmergarn 🙂
Sapperlot! Potzblitz! Ist es denn die Möglichkeit… Schon ist der November angebrochen und es kommt nun die Zeit, in der Viele im Dunkeln morgens aufbrechen und im Dunkeln abends zurückkommen… Dunkel war’s, der Mond schien helle – wohlan denn! In der Turmstube ist dies wiederum unter Anderem die Zeit für besinnliche, anregende und aufregende Literatur im Halbe-Stunden-Takt.
Die Turmstuben-Bücher des Monats November sind:
Robert Löhr: Krieg der Sänger. Piper Verlag GmbH München 2012 (Taschenbuchausgabe 2013)
Deutsche Gedichte. Von den Zaubersprüchen bis zur Gegenwart. Sammlung Dieterich, Band 91. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung Wiesbaden [ca. 1950] (2)
In Münster wird seit 1383 (und wahrscheinlich auch schon früher) vom St. Lamberti-Kirchturm aus gewacht, ob räuberische Banden die Stadt überfallen oder ein Feuer ausbricht. Der Türmer – seit 2014 die Türmerin – hält Ausschau und bläst ein Entwarnungs- oder Warnsignal (je nachdem…), und zwar nach Süden, nach Westen, nach Norden. Niemals aber nach Osten. Warum?