Der Turm von Lamberti ist allabendlich wie ein Zuhause
Die Zeit in der Turmesspitze wie eine Atempause

Die Türmer von St. Lamberti zu Münster „bewohnten“ den Turm immer nur zeitweilig, eben zu ihrer Dienstzeit. Wenn sie keine Wacht hielten, hatten sie eine ganz normale Behausung – so wie heute auch. Allerdings gibt es auch zahlreiche Beispiele vom Wohnen auf Türmen.

In diese Kategorie fällt z.B. die Wohnung auf dem Blauen Turm in Bad Wimpfen.
Sehr reizvoll ist auch das Wohnen auf Leuchttürmen, in Windmühlen, in Wassertürmen… überhaupt: Türme – sie garantieren nicht nur einen zumeist wunderbaren Ausblick, sie ermöglichen auch das Abstandnehmen von den Problemen und der Hektik des Alltags. Wenn man sich richtig darauf einlässt, seinen Atem ruhiger werden lässt, mit jeder Stufe leichter wird und schließlich oben ankommt, dann steht man im wahrsten Sinne des Wortes „über den Dingen“. Wenn schon das allabendliche Wirken als Türmerin in einem hohen Turm solche Glücksgefühle und meditativen Assoziationen ermöglicht, wie wunderbar muss es dann erst sein, wenn man seinen ständigen Wohnsitz in einem Turm haben darf? Das folgende Buch stellt völlig ungewöhnliche Wohnungen vor, es ist leider vergriffen, aber in einer gut sortierten Bibliothek sollte es auszuleihen sein:

„Der Traum vom anderen Wohnen. Von der Almhütte bis zum Zirkuswagen“. Ein Buch von Sabine Böhne und Inge Behrens. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2001

Die Autorinnen stellen  zwanzig sehr eigenwillige Domizile in Europa vor:
-Höhlenhaus,
-Mansarde,
-Zeche,
-Alm,
-Steinhaus,
-Kloster,
-Kunstvilla,
-Stadtpalais,
-Burg,
-Schwimmbad,
-Zirkuswagen,
-Bootswerft,
-Windmühle,
-Japanhaus,
-Hausboot,
-Teepavillon,
-Handwerkshof,
-Kirche,
-Kirchturm,
-Wasserturm.

Von besonderem Interesse für eine Türmerin sind natürlich gerade die letzten beiden Behausungen. Das Tolle an dem Werk sind die vielen großen Bilder.

Das Kapitel über den Kirchturm trägt die Überschrift „Zimmer mit Aussicht“ und handelt von  Jürgen Bartz und seiner ungewöhnlichen Wohnung im Turm der evangelischen Johanniskirche zu Göttingen. Einige Jahre hat er hier als Student der Forstwirtschaft gewohnt.

Fünfhundert Jahre lang hausten die Stadtwächter in dem achteckigen Turmzimmer von Sankt Johannis. Auf der hölzernen Balustrade, die um den 46 Meter hoch gelegenen Raum herum führt, hielten sie nach feindlichen Heeren und Feuer Ausschau, um im Ernstfall frühzeitig Alarm zu schlagen. Seit 1945 bewohnen Studenten die Kammer mit dem weiten Blick.

Jürgen Bartz hatte noch einen Mitbewohner in einem zweiten Zimmer eine Treppe unter seinem Raum. Jeden Samstag empfing die Turm-WG Besucher; dann war der Kirchturm zwei Stunden lang für Besichtigungen geöffnet. Deshalb hatte einer von beiden immer Präsenzpflicht als „Türmer“ oder musste eine Vertretung bestellen. Dafür zahlten sie keine Miete und wurden an den Einnahmen der Besichtigungen beteiligt. Ähnlich funktioniert noch heute übrigens das Modell in Bad Wimpfen auf dem „Blauen Turm“, wo Blanca Knodel als einzige ganzjährig auf ihrem Turm wohnende Türmerin Deutschlands mietfrei wohnt und dafür Besucherinnen und Besuchern den Turm öffnet. Auch die alte Tradition der Turmmusik wird dort zelebriert. Der Kollege „Deutschlandjäger“ hat sie  besucht und einen Artikel darüber geschrieben (Klick!).

Die Turmwohnung in St. Johannis wurde über 238 Stufen erreicht und hatte 17qm. Telefonleitung und Strom waren vorhanden, eine kleine Küche mit Herd und Backofen, sogar ein Kühlschrank, jedoch kein Wasseranschluss – also auch keine Dusche. Die Toilette wurde mit Regenwasser gespült, und zum Waschen gingen die studentischen „Türmer“ ins Gemeindezentrum. Das Wasser zum Zähnewasser wurde in ein Abwasserrohr gekippt. Pfiffig stellte Jürgen Bartz wohl ab und an gefüllte Wasserkanister unten an den Fuß des Turmes, und wer ihm die Kanister nach oben trug, sparte sich das Eintrittsgeld.

Wie auch beim Vorstellungsgespräch für die Türmerstelle auf St. Lamberti in Münster spielte es in Göttingen keine Rolle, welche Konfession die Bewohner hatten, wichtiger war dem Gemeindezentrum wohl , „dass sich die beiden Turmbewohner verstehen, weil sie wie in einer WG die Küche miteinander teilen“, so wird Bartz zitiert. Einen guten Eindruck habe er auch gemacht, als er erwähnt habe, dass er sich als erfahrener Freeclimber bei Gefahr problemlos retten könnte.

Interessant auch dies:

Ob die Kirchengemeinde das Turmzimmer auch an Frauen vermietet? »Im Prinzip schon. Aber ich habe bislang immer nur von Männern gehört, die hier gewohnt haben«, sagt Jürgen Bartz und hat nach kurzem Nachdenken die Erklärung parat: »Frauen brauchen ein Bad. Denen ist das hier auf Dauer nicht komfortabel genug.« Als Besucherin kämen sie jedoch gerne in das romantische Domizil.

In einem Blogartikel berichtet Bartz über einen Brand im Nordturm und umfangreiche Sanierungsarbeiten, als er schon nicht mehr dort gewohnt hat (2005).
Die St. Johannis-Kirche und ihre Türme heute sind natürlich auch im Internet vertreten.


Das Kapitel über das Wohnen im Wasserturm trägt die Überschrift „Ein freier Blick“ und handelt von Familie Schleicher in Eichwalde, im „grünen Umland Ost-Berlins“.

Dieser Wasserturm war vordem nie als Wohnung genutzt worden und total verfallen. Aber Wolfram Schleicher konnte es sich als Bauingenieur sehr gut vorstellen, den Turm eigenhändig zu sanieren. Damit der Wasserturm zu DDR-Zeiten überhaupt in Privatbesitz übergehen konnte, überprüfte die Stasi zuerst, dass keine geheimen Objekte von oben aus einsehbar wären. Schon lange bevor die Schleichers den Kaufvertrag in den Händen hielten, begannen sie mit dem Ausbau des Daches, damit nicht noch mehr Nässe eindrang. Mit einem Seilzug transportierten sie das Baumaterial nach oben. Später kauften sie das Grundstück und noch etwas Gartenland hinzu. Ein Foto des Eichwalder Wasserturmes ist online auf der Wasserturm-Galerie zu sehen.

Über fünf Etagen erstreckt sich die Wasserturmwohnung, das größte Zimmer ist 40qm, beide Kinder bekamen ihr eigenes Zimmer. Da die gesamte Familie musikalisch ist, stehen mehrere Instrumente in der Wohnung, darunter ein Klavier, die Akustik sei sehr gut, so das Zitat. Das Klavier ist auf einem der schönen Bilder des großformatigen Buches zu sehen.

Auch in Münster gibt es einen Wasserturm im Geistviertel, der auch noch mit Wasser gefüllt ist. Unterhalb des Reservoirs befindet sich ebenfalls eine Wohnung, zwei Zimmer, ein Bad, ein großes Wohnzimmer, eine Küche – ehemals die Dienstwohnung eines Mitarbeiters der Wasserwerke. heute bewohnt als WG von zwei Männern. Die Türmerin war dort schon einmal zu Besuch und weiß aus eigener Erfahrung, wie großartig diese ungewöhnliche Wohnung ist. Unheimlich fände sie nur das Schlafen unter den großen Wassermengen…
Ebenfalls in der Wasserturm-Galerie abgebildet: Der Münstersche Wasserturm.