Im Monat März 2015 gab es keine Veröffentlichung zu Turmstuben-Büchern – der Februar war bemerkenswert kurz und die vorgenommene Lektüre dauerte länger. Aber nun! Alles neu macht der April: Auf dem Turm liegen bereit:

Reiner Stach: Kafka. Die frühen Jahre. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014 (2)

Gerd Schroeder: Das Museum aus dem Nichts. Der Mühlenhof zu Münster in Gestalten und Geschichten. Ein Buch der Münsterschen Zeitung, C. J. Fahle GmbH, Münster 1980.

Michael Glawogger: 69 Hotelzimmer. Die Andere Bibliothek, Berlin 2015

Reiner Stach: Kafka ->

Wir befinden uns in den Jahren 1883-1911… Neuer, technischer Fortschritt bestimmt diese Epoche und verändert die Lebenswirklichkeit der Menschen (Autos, Fließbänder…). Die jüdische Familie Kafka erlebt in Prag, wie sich nationale Spannungen zuspitzen.

Es ist bemerkenswert, wie der Mensch Franz Kafka in diesen widrigen Umständen zum Autor Franz Kafka werden konnte.

Stachs Stil ist sehr interessant, er gibt Einblicke in den erweiterten Kontext, in den das Leben Kafkas eingebettet ist, so erhält man beim Lesen einen fast schon filmhaft eindrucksvollen Überblick.

Man erfährt:

„(…) ‚Jeder Mensch ist eigentümlich‘, begann er, und eine seiner Eigentümlichkeiten, die man in der Schule ebenso wie im Elternhaus zu nivellieren suchte, sei eben die gierige Lektüre gewesen. (…) Denn Kafka las nicht nur, er begann zu schreiben, vor aller Augen. Und mit zwölf oder dreizehn Jahren war er entschlossen, Schriftsteller zu werden. (…)“ – S. 162

Leider sind die ganz frühen Werke verschollen, und die späteren Werke und Werkfragmente verdanken wir einem Vertrauten Kafkas, Max Brod, der seinen Nachlass verwaltete.

Man weiß, dass Kafka große Schwierigkeiten mit seinem Vater hatte, Rechtswissenschaften studierte und als „Brotberuf“ bei der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt des Landes Böhmen in Prag arbeitete, aber die Stimmung und historischen Umstände, die ihn umgeben haben müssen, erfahren wir erst durch die drei Kafka-Biographie-Bände Reiner Stachs, der jahrzehntelang dafür akribisch recherchiert hat; kürzlich war Stach in Münster und hat sein Werk vorgestellt – wer Gelegenheit hat, ihn auf seiner weiteren Lesereise zu sehen, bitte recht freundlich von mir grüßen!

Türmer-Relevanz? Aus dem „Proceß“ empfehlen wir die Torhüterparabel (danke an Andreas Neumann für den Hinweis!), „von Schülern für Schüler“ hier besprochen:  „Vor dem Gesetz“. Hüter, Wächter, Türmer sitzen alle in einem Boot, und kafkaeske Momente kennt die Türmerin als städtische Angestellte im Öffentlichen Dienst auch hie und da 😉

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Gerd Schroeder: Mühlenhof ->

Dieses Buch gibt es beim Antiquariat Ihres Vertrauens (danke an Matthias Putze und das Jos Fritz Antiquariat!) bzw. auf www.zvab.com (Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher).

In dem Buch erfährt man auf sehr unterhaltsame Art und Weise, wie Theo Breider, den man sicherlich auch ein Original nennen kann, die Idee zur Errichtung eines Museumsdorfes mit authentischen Gebäuden schließlich zur Verwirklichung brachte.

Breider übernahm 1935 die Leitung des Verkehrsvereins Münster (heute heißt diese Institution Münster Marketing), nachdem er für die Bahn und als Kaufmann Arbeitserfahrung gesammelt hatte.

Man muss wissen, dass Theo Breider nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich beteiligt gewesen ist beim Wiederaufbau des heute so genannten Friedenssaales. Geschafft hat er alle seine bemerkenswerten Projekte durch die Fähigkeit, Menschen zu begeistern und zusammenzubringen. Mit viel Liebe zu Münster und seinem Gemeinschaftssinn gelang es ihm auch, die erste Bockwindmühle aus dem Emsland nach Münster zu transportieren – von diesem nicht gerade einfachen Unterfangen und dem gesamten Abenteuer des Mühlenhof-Aufbaus berichtet das Buch teilweise in Interviewform, Breider selbst kommt zu Wort, und es liest sich wie eine mündlich erzählte gute Geschichte. Interessant sind auch die vielen Fotos – mein Appell: Unbedingt mal zum Mühlenhof radeln (gleich hinterm Aasee in Richtung Allwetterzoo gelegen!), es gibt dort einiges über westfälisches Landleben zu lernen, tolle Veranstaltungen für Groß und Klein, z.B. Allerlei über die Imkerei mit Probieren des Honigs der Mühlenhof-Bienen. Das ist Brauchtumspflege at its best!

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Michael Glawogger: Hotelzimmer ->

Das Merkwürdige: Es sind nicht 69, sondern 96 Hotelzimmer beschrieben, das Zimmer Nr. 13 ist – natürlich – ausgelassen. Der Zahlendreher ist gewollt: Im Nachwort schreibt Eva Menasse, dass Glawogger jene Filmkomödien geliebt habe,

„in denen Hotelzimmertüren so leidenschaftlich zugeschlagen werden, dass sich die Ziffern drehen und damit Verwicklungen und Verwechslungen erst in Gang bringen.“

Das Buch will eine Art Handbuch sein für das Leben im Hotel, in verschiedenen Hotels, und berichtet in kurzen Episoden z.B. auch über Orte, an denen Glawogger seine berühmten Filme drehte (Mexiko, Thailand…). Interessant ist dieses Werk auch deshalb, weil es nach seinem Tode herausgebracht wurde, unter Federführung seiner Witwe, denn er starb 2014 sehr plötzlich an nicht diagnostizierter Malaria in Liberia, Afrika.

Wenn man Glawoggers Filme kennt („Megacities“, „Workingman’s Death“, „Whore’s Glory“ – auch an dem Wim Wenders-Film „Kathedralen der Kultur“ war er maßgeblich beteiligt, er schuf die krassen 3-D-Bilder der russischen Nationalbibliothek!), so ist das Buch eine literarische Fortführung seines besonderen Stils.

Ein Reisebuch – ja, aber eines, das sehr untypisch daherkommt, nämlich ohne Ausgangs- und ohne Zielpunkt. Wenn man es ausgelesen hat – so meine These – ist man froh, im schönen Münster bleiben zu dürfen und die Welt Welt sein lassen zu können – übrigens zum Thema Hotels: Münster Marketing berät hervorragend in Sachen Unterkunft und Events! Einfach mal anfragen:

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