In dem kleinen Büro ganz oben auf der katholischen Stadt- und Marktkirche St. Lamberti, wo schon seit eh und je städtische Türmer Wacht halten, könnte man meinen, die dicken Steine speicherten Geschichte – und die Zeit.
Wenn ich rausgehe, jede halbe und jede volle Stunde zwischen 21 Uhr und Mitternacht, blicke ich staunend und sinnierend über die Dächer der Stadt und denke an die Männer, die vor mir hier gestanden haben. Woran haben sie gedacht, ein jeder zu seiner Zeit?
Von den meisten wissen wir es einfach nicht. Von einem jedoch sind so viele Kurzgeschichten erhalten, dass wir einen sehr schönen und interessanten Einblick in seine ganz eigene Welt erhalten.
Kommt mit in die skurrile Welt des Leonhard Ostendorf (Terfloth)!


Terfloth – da klingelt doch was: so hieß der „Zuckerkönig“ von Münster mit der schicken Villa Terfloth am Kreuztor, erbaut von Alexander Cazin! Genau. Leonhard Ostendorf war der Enkel des Zuckerkönigs (Gründer der heutigen RATIO). Aus Stolz auf seinen Opa nannte Leonhard sich gerne:
Leonhard Ostendorf-Terfloth oder kurz LOT.

Zuckervilla, Postkarte, Stadtmuseum Münster
Quelle: https://www.stadt-muenster.de/aktuelles/pm-details?1114243

Er war ein äußerst kreativer Mensch mit allerlei Spezialinteressen.
Unter den vielen verschiedenen Tätigkeiten seines Lebens findet sich auch eine Beschäftigung als Türmer auf St. Lamberti (ab ca. 1966).



„Keusch über der Stadt. Das gibt’s noch: Türmer tutet nachts ins Horn. […] 300 Stufen sind es hoch bis zur Türmerstube […| Oben im kleinen Kämmerlein, viele Bücher, einige Bierflaschen, eine Couch, eine Schreibmaschine (‚da schreibe ich nachts Kurzgeschichten‘) und ein Feldtelefon – Verbindung zur Feuerwehr. […] Soweit der ‚arme, aber brave‘ freiberufliche Schriftsteller Leonhard Ostendorf, einer der beiden hauptamtlichen Türmer. […]“


Berliner Morgenpost vom 23. Juni 1970
„Keusch über der Stadt. Das gibt’s noch: Türmer tutet nachts ins Horn. […] 300 Stufen sind es hoch bis zur Türmerstube […| Oben im kleinen Kämmerlein, viele Bücher, einige Bierflaschen, eine Couch, eine Schreibmaschine (‚da schreibe ich nachts Kurzgeschichten‘) und ein Feldtelefon – Verbindung zur Feuerwehr. […] Soweit der ‚arme, aber brave‘ freiberufliche Schriftsteller Leonhard Ostendorf, einer der beiden hauptamtlichen Türmer. […]“
Berliner Morgenpost vom 23. Juni 1970
Quelle: Wolfgang Braden (Hrsg.): Die skurrile Welt des Leonhard Ostendorf.
50 Geschichten des Türmers von St. Lamberti. agenda Verlag, Münster 2024

Der andere Haupttürmer war zu diesem Zeitpunkt meines Wissens Roland Mehring, dem die Türmerstube die erwähnte Couch zu verdanken hatte (darüber hatte ich schon geschrieben, siehe hier, klick!). Das Foto, welches beweist, dass es dieses Sofa wirklich gegeben hat (siehe hinten, im Rücken des Türmers!):

Volkskundliche Kommission für Westfalen, Türmer Roland Mehring mit dem Sofa
Quelle: Volkskundliche Kommission für Westfalen,
Türmer Roland Mehring mit dem Sofa

Leonhard Ostendorf-Terfloth ist am 17. Mai 2022 im Alter von 88 Jahren verstorben. Nun kann ich ihm nicht mehr persönlich sagen, wie großartig ich seine Kurzgeschichten finde. 

Aber seinem langjährigen Freund Wolfgang Braden, Kameramann, Autor, Regisseur, Filmproduzent – ihm gegenüber kann ich meinen großen Dank ausdrücken; Wolfgang Braden hat nämlich kürzlich ein Best Of von 50 dieser Kurzgeschichten veröffentlicht:


Ein wunderbares, wirklich herzerfrischendes Werk. Liest man diese Geschichten, wird man unweigerlich mitgerissen, ist mittendrin, steht quasi neben den fantastisch seltsamen Figuren wie Diane Blum, Natze das Frettchen, Oma Hut und Stepani Lizaweta Propeller… und vielen anderen.

Da mir das Beschreiben der Geschehnisse und immer wieder rätselhaften Begebenheiten nicht leicht fällt – so besonders schreibt LOT! – bleibt mir nur der gute Rat:

So leset ihr am besten höchstselbst!
Und dann schreibet mir bitte eure Eindrücke.
Höhenluft macht wahrhaftig kreativ.

Dat wull!

Eure Türmerin von Münster, ganz beseelt.


Hier könnt ihr den Artikel anhören: