Dies ist Teil I einer neuen Serie: „Hoher Besuch – Türmer zu Gast in Münster“.

Die Türmerin 2.0 hat neben dem abendlichen Wachen und Entwarnungs-Signalblasen und hin und wieder historische Vorträge halten noch eine weitere Aufgabe: Die virtuelle Präsenz gestalten. Seitdem der Lambertusturm auch ein Computer-Arbeitsplatz ist, betreibt die Türmerin türmerische und sonstige Vernetzung. Anders als noch ihr Vor-Vorgänger Roland Mehring, der eher den Typus des einsamen Türmers verkörperte, der nicht zu jedem Zunfttreffen fahren wollte, möchte Martje Saljé zum Einen viele andere Türmerinnen und Türmer in ihrem natürlichen Biotop kennenlernen und dabei auf viele Türme steigen; zum Anderen versteht sie sich dabei als Botschafterin ihrer Wahlheimat Münster und lädt andere Türmerinnen und Türmer auch zu sich ein, zum Austausch der türmerischen Sache.

…und abends alleine auf dem „eigenen“ Turm werden dann die Impressionen des Tages verarbeitet und im besten Fall auch bloggerisch niedergeschrieben…

Es ist nämlich sehr interessant, dass es tatsächlich noch hier und dort Türmerinnen und Türmer gibt, und beim näheren Hinschauen bemerkt man große spannende Unterschiede. Jeder Jeck ist anders – jeder Türmer auch; aber nicht nur das, sondern auch in ihren Aufgaben unterscheiden sie sich zum Teil gravierend. Es wird getutet, geblasen, gerufen, touristisch geführt, alleine gewacht, als Angestellter des Stadtmarketings oder freier Mitarbeiter der Kirchengemeinde, im Öffentlichen Dienst oder mit Präsenzpflicht mietfrei gewohnt, es gibt Haupt- und Nebentürmer, kurz: Die Türmergeschichte wird stetig neu geschrieben und das historische Erbe aufrecht gehalten – in mehr Städten und Gemeinden, als man vielleicht denkt!

Den Auftakt als Gast auf dem „langen Lambert“ macht mein geschätzter Kollege Josef Thöne aus Hamburg – im Juli 2014 ergab sich die schöne Gelegenheit, ihn auf dem Lambertusturm zu begrüßen. 

Und das kam so: Im TV wurde ein Beitrag gesendet über die Türmerin von Bad Wimpfen auf dem „Blauen Turm“ (Blanca Knodel; über die auch noch zu berichten sein wird, wenn ich sie besuche – sie selbst kann leider nicht nach Münster reisen, da es keinen Vertreter gibt, sagte sie mir telefonisch!), den Trompeter vom Hamburger „Michel“ (besagter Josef Thöne) und die Türmerin von Münster (meine Wenigkeit).  Daraufhin schrieb ich den Kollegen aus Hamburg per Mail an und so nahm die türmerische Vernetzung ihren Lauf. Wie es oft der sogenannte Zufall will, ist sein Schwager in Münster aufgewachsen und die Familie fährt hin und wieder hier her – so auch an einem schönen, sonnigen Tag im Juli. Natürlich haben wir es uns nicht nehmen lassen, mit unseren Instrumenten zu posieren – er hatte tatsächlich seine Trompete dabei! Diese Fotos werde ich nach Sichtung und Bearbeitung alle auf diesem Blog zeigen.

Josef Thöne und die Türmerin

Josef Thöne und Martje Saljé

Was sind aber nun die Unterschiede zur bekannten münsterschen Türmercharakteristik?

In Hamburg auf der St. Michaelis-Kirche wird morgens und abends jeweils ein Choral geblasen. Am Sonntag nur abends, da morgens alle Menschen wahrscheinlich im Gottesdienst sitzen (und die Türmer vom Vorabend noch in den Seilen hängen? – Nein! Nur Spaß!). Die St. Michaelis-Kirche ist evangelisch – und Josef Thöne ist übrigens katholisch (in Münster ist’s umgekehrt, haben wir noch gescherzt, Kirche katholisch, Türmerin evangelisch-lutherisch). Das Turmbläseramt teilt er sich mit einem Kollegen, seit 22 Jahren ist er dabei, und die Absprache erfolgt nach Monatsplänen sowie auch kurzfristig bei Krankheit o.ä. Die Türmer in Hamburg werden von der Kirche eingestellt – in Münster ist das Amt immer schon städtisch und heutzutage bekanntermaßen Teil des Stadtmarketings.

Den Turm, der liebevoll „Michel“ genannt wird, kann man besichtigen – nach 52 Stufen gelangt man an den Aufzug, der einen auf die schöne Aussichtsplattform bringt, von der man über die Stadt und den Hafen blicken kann. Es muss wunderbar sein, die vorbeifahrenden Schiffe vom Turm aus zu grüßen! Wenn man sich alternativ entscheidet, auf den Aufzug zu verzichten, muss man noch mal 400 Stufen erklimmen, um den Ausblick aus 106m Höhe zu genießen. Der Türmer selbst kann auch noch höher steigen, wenn ihm danach ist. Im Jahr 1906 gab es ein furchtbares Unglück: Der Turm ist abgebrannt und der diensthabende Türmer ist in seiner Stube ums Leben gekommen…

„Bei Schweißarbeiten an der Turmuhr geriet er in Brand und stürzte ein. Ein Fotograf hatte die Plattenkamera in Position gebracht und hielt den Moment des Zusammenbruchs fest. Es ist wahrscheinlich das früheste Foto eines Turmeinsturzes.“

Zu sehen ist besagtes Foto auf S. 231 im Buch „Türme“ von Paul Maar, welches in meiner Turmstubenbibliothek vorgestellt worden ist.

Meinem Kollegen hat es gut gefallen auf dem so ganz anderen Turm und der exklusiven Führung nur für ihn; ich habe ihm auch die höchste begehbare Stelle im St. Lambertikirchturm gezeigt – über der Türmerstube noch mal 14 Stufen in der Turmspitze, wo die meisten Pressefotos entstehen wegen der äußerst ästhetischen neogotischen Rosettenbauweise. Hier, in ca. 80m Höhe, lagen wie immer ein paar Taubenleichenteile herum – der Turmfalke versteht etwas von seinem Job – aber der Anblick von Taubenüberresten und -kot ist in Hamburg auch nicht anders 🙂

Wir haben uns wunderbar verstanden und ich sende herzliche Grüße nach Hamburg zum nettesten mir bekannten Trompete blasenden Türmer samt Entourage!
Ich freue mich auf eine Reise in den hohen Norden, übe schon mal fleißig „Auf dem Michel brennt noch Licht, da is noch lange noch nich Schicht, denn im Großen und im Ganzen gibt es immer Grund zum Tanzen“, frei nach Jan Delay, und „Hamburch, meine Perle“…!