Der Mai steht im Zeichen der unbekannteren literarischen Turmwächter.

Außer der Reihe aus aktuellen Gründen:
Daniela Danz: „Türmer“, Wallstein Verlag, Göttingen 2006 – im ersten Teil geht es um einen Jungen, der in einen Turm einzieht, weil sein Vater Türmer geworden ist. Die Autorin ist Kunsthistorikerin und Germanistin, hat auch sehr schöne Gedichte veröffentlicht, alles sehr zu empfehlen – am 8.5.2015 ist sie im Rahmen des LYRIKERTREFFENS in Münster zu Gast!

Diese weiteren drei Werke sollen im Laufe des Monats Mai betrachtet werden:

  1. Konrad Fleck: Flore und Blancheflur (Digitalisat)

  2. Marie (Maria Amanda) Gerner: Beim Turmwächter. Eine Erzählung für Jung und Alt.

  3. Fritz Lehner: Der Schneeflockenforscher.

Entstanden ist der fragmentarische Versroman über Flore oder Floyris um 1170, wahrscheinlich im niederfränkischen Grenzgebiet (so Walter Killy in: Killy Literaturlexikon, Band 11, Si-Vi, Walther de Gruyter GmbH & Co. KG Berlin/Boston 2011[2]) – auf den Seiten der Heidelberger Universität (siehe unten) wird das Entstehungsjahr mit 1220 benannt und festgestellt, dass die erhaltene Schrift des unbekannten Autors Konrad Fleck ihrerseits auf einen altfranzösischen Versepos zurückgeht.

Der heidnische Königssohn Flore ist auf der Suche nach seiner großen Liebe seit Kindertagen, der christlichen Sklavin Blanscheflur, und bei der Suche hilft ihm ein freundlicher Turmwächter.

Denn Blanscheflur ist in einen Turm gesperrt worden, und zwar von dem Amiral von Babylon, der darauf hofft, sie so zwingen zu können, ihn zu lieben. Durch die Hilfe des Turmwächters (eine Schlüsselfigur also!) kann Flore zu Blanscheflur gelangen, der Amiral merkt es aber natürlich, ordnet ihre Hinrichtung an, seine Untertanen weigern sich aber, schließlich werden sie begnadigt, Flore sogar zum Ritter geschlagen, sie können heiraten – eine durch und durch moralische Erzählung also, die uns sagt: Die ehrliche, aufrichtige Liebe kann durch nichts aufgehalten werden und lässt sogar steinerne Herzen erweichen. Hach ja…

Ein Digitalisat des gesamten Versromans findet sich auf den Seiten der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg:

Konrad Fleck (Cod. Pal. germ. 362): Flore und Blanscheflur. Hagenau, Werkstatt Diebold Lauber, um 1442-1444


Das folgende Buch liegt mir noch nicht in physischer Form vor:

Marie (Maria Amanda) Gerner: Beim Turmwächter. Eine Erzählung für Jung und Alt. Bischof & Klein, Lengerich 1908.

Marie Gerner war Erzieherin und Jugendbuchautorin. Sie lebte 1843-1928, Zürich war ihre Wahlheimat.

Weitere Titel von ihr wie „Klein-Hindenburg im Dörfchen. Eine Erzählung für die Jugend“ oder „Gute Kameraden – eine Erzählung aus dem großen Kriege [heute bekannter als der 1. Weltkrieg] für die Jugend“, erschienen 1917 lassen verharmlosende Kriegspropaganda vermuten – oder bloße naive, zeitgemäße Zeilen?

„Beim Turmwächter“ scheint eine Art Heimaterzählung zu sein, wenn man den Auflistungen der Titel in verschiedenen deutschen Literaturverzeichnissen folgt.

Genauere Urteile bleiben abzuwarten, bis ich wirklich in das Werk selbst schauen kann. Sollte jemand von der geneigten Leser*innenschaft ein antiquarisches Exemplar davon besitzen und sich bereits eine Meinung gebildet haben, bin ich sehr gespannt auf Ihre Zuschriften (siehe Kontaktformular)!


„Der Schneeflockenforscher“ ist ein Turmwächter aus Freistadt bei Linz. Die Erzählung ist fiktiv, schneidet aber alle historischen Begebenheiten des 17. Jahrhunderts an: Religionsfehden, Bauernaufstände, der Dreißigjährige Krieg… und mittendrin ist Jakob auf seinem Turm. Von dort beginnt er, nicht nur die Stadt unter sich, sondern auch die Schneeflocken zu betrachten. Weil er ab und an auch heimlich ein paar Kinder der Stadt unterrichtet, wird eines der Kinder, Marie, seine Komplizin, die mit ihm über die geheimnisvolle Symmetrie der Schneeflocken nachdenkt. Der große Mathematiker und Naturphilosoph Johannes Kepler ist auch einmal Gast auf dem Turme.

Insgesamt klingt das Buch aus dem österreichischen Seifert Verlag ganz interessant, da es – so meine Hoffnung – eine Möglichkeit bietet, u.a. jugendlichen Menschen quasi en passant Geschichte zu vermitteln, bzw. das Interesse dafür zu wecken, auf andere Art als es der meistens rein an Fakten orientierte Schulunterricht leisten kann.

Der österreichische Autor Fritz Lehner, geb. 1948, ist Adolf-Grimme-Preisträger, Autor und Regisseur.

Sein ebenfalls interessanter Multimedia-Roman „Margolin“ ist HIER verlinkt.