Neulich bei der Recherche im Stadtarchiv… Ein zufälliges Fundstück auf Mikrofilm – der von mir sehr geliebte Johannes Brahms war tatsächlich 1881 zu Gast in Münster!
Der alte Turm von St. Lamberti stand zu diesem Zeitpunkt noch, neigte sich aber bedenklich gen Westen, und es wurde im Stadtrat und der Kirche heiß diskutiert, wie man mit dem offensichtlich baufälligen Turm umgehen sollte; im selben Jahr entschied man sich für den Abbruch und Neuaufbau.
Ob Brahms wohl bei seinem Besuch in Münster den damaligen Türmer Joseph Buschkötter gehört haben mag? (Das Titelbild dieses Beitrages stammt von der Website klassika.info)
Alte Zeitungsartikel sind allein schon deshalb interessant, weil der Schreibstil und die Form uns heute so fern und fremd erscheinen, gleichzeitig nehmen sie mich genau dadurch geradezu gefangen.
Hier die begeisterte Schilderung des Abends eines unbekannten Autors
(Transkription durch Martje Saljé, April 2015):
Westfälischer Merkur
26. Januar 1881
Locales.
#Münster, 25. Januar. – Die Anwesenheit Brahms‘ auf dem sechsten Vereins-Concerte des münsterschen Musikvereins bildet noch immer in weiten musikalischen Kreisen das Hauptereigniß der vorigen und das Tagesgespräch der laufenden Woche. Brahms steht unstreitig nicht bloß als Componist und ausübender Künstler, sondern auch als Dirigent unter den Vielen, welche in der Jetztzeit die Tonkünstler-Laufbahn betreten, als einer der Ersten da, und ist es an und für sich schon ein Ereigniß, daß ein solcher Mann an einem Concerte unserer musikalischen Kreise sich beteiligt. Nun griff er aber so tief und nachhaltig in den Verlauf des ganzen Musikabends ein, er wußte Chor und Orchester so in das Verständnis seiner Tonwerke einzuführen und sie bei der Wiedergabe derselben zu begeistern, daß Alles davon hingerissen wurde. Wenn der Satz „der Componist ist selber der beste Interpret seiner Werke“ auch nicht für alle Fälle Gültigkeit hat, von Brahms gilt er ganz gewiß, und wenn er für seine Tonschöpfungen und für seine ganze Kunstrichtung die wirksamste Propaganda machen will, so darf er nur persönlich zu den Musik-Instituten sich hinverfügen und sich als Dirigent an die Spitze ihrer Hörer und ihrer Orchester stellen. Wenn man Brahms dirigieren sieht, so öffnet sich das Auge wie von selbst für die Schönheiten seiner Werke. Wir erfuhren das an uns selbst besonders bei seiner Symphonie in D, welche uns nie zuvor so klar zum Verständnis kam. Die Wirkung der Persönlichkeit Brahms‘ auf die ihm unterstellten musikalischen Kräfte war überraschend. Wir freuten uns herzlich über die untadelhafte Reinheit der Intonation bei Stimmen und Instrumenten von Anfang bis zu Ende, über den unverkennbaren Schwung und die leuchtende Begeisterung des Vortrages, über Feinheiten und Schönheiten, welche sonst wohl viel seltener auf den Markt gebracht zu werden pflegen. Ueber den Kunstwerth der an diesem Abend vorgeführten Brahms’schen Werke sollen an dieser Stelle nicht viel Worte gemacht werden: großartige Conception und herrliche Durchführung sind insbesondere seiner zweiten Symphonie und dem Schicksalsliede (für den textlichen Inhalt desselben vermögen wir uns freilich nicht zu begeistern) eigen, geistreiche Verwerthung und Verwebung der allerbelauntesten Studentenlieder zeigt die „akademische Fest-Ouvertüre“. – Ausübend trat der Meister nach seinem „Schicksalsliede“ auf, um die Schumann’sche C-dur-Phantasie (in drei Sätzen), jenes außerordentlich schwierige Clavierwerk, zum Vortrag zu bringen. Mit spielender Leichtigkeit wurden die größten Schwierigkeiten überwunden, klar und lebenswarm traten die einzelnen Kunstgebilde aus dem großen Ganzen heraus. Als der Künstler sein Spiel beendigt, wagten wir die Frage nicht zu entscheiden, welche Seite an ihm die hervorragendste sei: ob die des Componisten, des Virtuosen oder des Dirigenten. Wir müssen aber anerkennen, daß ihm auch zu so einer glänzenden Entfaltung der Virutosität ein Knake’scher Concertflügel zu Gebote stand, wie er nicht prächtiger hätte sein können. Brahms selber soll von dem hohen Werthe dieses prächtigen und mächtigen Flügels ganz entzückt gewesen sein. – Es erübrigt noch zu bemerken, daß die Nummer des Programms, zu welcher Brahms weder als Componist noch als Dirigent in näherer Beziehung stand, unter Grimm’s Leitung ebenfalls eine vorzüglich gute Wiedergabe fand: es war das stimmungsvolle Finale des ersten Aktes aus der leider unvollendet gebliebenen Oper „Lorelei“ von Mendelssohn-Bartholdy. Die Sopran-Solistin Frau Waldmann-Leideritz errang dabei als Leonore den schönsten Erfolg. Der Dank des zahlreichen Auditoriums für den genuß- und lehrreichen Brahms-Abend war selbstverständlich ein ungewöhnlich lebhafter; möge uns der Vorstand des Musik-Vereins noch häufiger ähnliche Concert-Abende veranstalten.
Bei der weiteren Recherche fand ich folgenden Satz:
„Das Musikleben Münster ist so alt wie die Geschichte der Theateraufführungen. (…) Vom Jahre 1806 datiert der Münsterische Musikverein. Dessen Konzerte dirigierte von 1860-1900 Prof. Julius Otto Grimm, ein Freund von Johannes Brahms.“
(Aus: „MÜNSTER so wie es war.“ Ein Bildband von Walter Werland, Droste Verlag GmbH, Düsseldorf 1970, S. 40)