Im September geht es in der Türmerstube nicht nur literarisch zu – um das Phänomen der Bismarcktürme, um eine Gräfin, die jahrzehntelang bis zu ihrem Tode in einem Turm hauste – denn zu guter Letzt gibt es noch einen Filmtipp mit Türmerbezug.
1.) Jörg Bielefeld und Alfred Büllesbach: „Bismarcktürme. Architektur, Geschichte, Landschaftserlebnis“, Morisel Verlag, München
(Link zum Artikel „Ein Turm kommt selten allein“ auf welt.de)
In Deutschland gibt es laut welt.de 146 Bismarcktürme.
„Die meisten Bismarcktürme waren und blieben Aussichtstürme (…) zwischen Bergfried und Fabrikschlot, zwischen Grabmal-Wuchtigkeit im Stile Theodorichs des Großen und Leuchtturmschlankheit“.
Es existiert ein nur noch antiquarisch erhältliches „Lexikon der Bismarck-Denkmäler“ von Sieglinde Seele aus Breslau, eine systematische Inventarisierung. Nachträge dazu (ohne Türme) sind HIER (Klick!) als PDF zu sehen.
Die Autoren Bielefeld und Büllesbach sind u.A. auch Heimatforscher, und ihr vorliegendes Buch ist ein Bildband, der die Entstehungsgeschichte der Türme beschreibt.
Natürlich gehört zum Verständnis auch dazu, sich mit der Person Bismarck und dem Kult um den „Eisernen Kanzler“ auseinanderzusetzen und mit dem erweiterten Setting des 19. Jahrhunderts, wo man begann, Aussichtspunkte zu entwerfen und zu genießen, wovon das 20. Jahrhundert dann weiter profitierte.
Der letztgebaute Bismarckturm steht übrigens seit 1934 in Soest. Das merken wir uns jetzt schon mal – denn es wird einen Artikel über Soest in anderem Zusammenhang demnächst in diesem Blog erscheinen.
Bismarck starb im Jahre 1898 – im Jahre der Vollendung des neuen St. Lambertikirchturmes! – und die für die nationale Einheit dankbare Studentenschaft begann ihm zu Ehren hohe Türme mit Feuerspitze zu propagieren. Den heute krass erscheinenden nationalistischen Grundton der Forderungen muss man im Kontext der Zeit sehen, „Vaterlandsliebe, deutsche Treue bis in den Tod“ – diese Schlagworte sind Ende des 19. Jahrhunderts als wichtiges, gängiges Gelöbnis zu verstehen. Interessant auch: Das Modell von Wilhelm Kreis, das den Architekturwettbewerb um die Bismarckturmgestaltung gewann, nannte sich „Götterdämmerung“, ein Turm nach diesem Modellentwurf steht z.B. in Wuppertal auf dem Hardtberg (1907 erbaut). Dieser Turm hat als gemeinsames Bauprojekt anscheinend sogar für Frieden zwischen den konkurrierenden Städten Barmen und Elberfeld (heute Wuppertal) gesorgt, siehe HIER (Klick!).
Zur Zeit der Nationalsozialistischen Herrschaft dann wurden die Feuerschalen der bis dato realisierten Bismarcktürme nur noch zu Propagandazwecken ganz anderer Art genutzt…
Heutzutage haben manche Bismarcktürme sogar Turmwächter – in Wuppertal heißt der diensthabende Türmer nach Kenntnisstand zur Redaktionssitzung Herr Glöckner (ja, wirklich!).
Natürlich kann man sich auch im Internet durch die Bismarcktürme klicken – wer allerdings das Gefühl liebt, Papier umzublättern und etwas Reales in der Hand zu halten, für den ist der Bildband von Bielefeld und Büllesbach genau richtig!
2.) Jens Gaitzsch: „Burg Stolpen“, Edition Leipzig (Verlagsgruppe Seemann Henschel) 2011 / Katja Doubek: Die Gräfin Cosel: „Liebe und Intrigen am Hof Augusts des Starken“, Piper Verlag 2008
Hier sind es zwei unterschiedliche Bücher zum gleichen Thema, die – ich gebe es zu – neben dem historischen Kern auch das schaurig-boulevardeske Moment bedienen und mir damit hoffentlich zur Inspiration für Melodien und Poesie-Ideen gereichen.
Das erste (Jens Gaitzsch) ist ein kleines Buch, das über die Festung und den ehemaligen Sitz der Bischöfe von Meißen als Ausflugsziel informiert. Das zweite (Katja Doubek) ist noch näher an der schaurigen Geschichte der berühmtesten Bewohnerin der Burg Stolpen.
Hauptperson ist Gräfin Anna Constantia von Cosel (1680-1765), die als Mätresse am Dresdener Hof des sächsischen Kurfürsten August des Starken bekannt wurde. Sie fiel in Ungnade und verbrachte 49 Jahre (!) im Turm der Burg Stolpen bis zu ihrem Tode.
Die interessante Legende will, dass die schöne und kluge adlige Constantia im Jahr 1704, als in der Dresdener Innenstadt ein Brand ausbricht, tatkräftig mithilft, die Flammen zu löschen – als just in diesem Moment August in seiner Kutsche vorbeifährt und sich sofort verliebt. Da ist sie aber noch mit einem Finanzminister verheiratet und wird erst ein Jahr später, nach der Trennung, die offizielle Mätresse des Kurfürsten. In einem geheimen Vertrag soll er ihr zugesichert haben, sie zu heiraten, sobald seine Frau stürbe – eine damals durchaus übliche Art der politischen und persönlichen Machtgefüge.
Gräfin Cosel bekommt drei Kinder von August dem Starken während ihrer acht Jahre am Hofe. Mit 36 Jahren soll sie jedoch fortgehen, da der Kurfürst sich einer anderen, politisch günstigeren Polin, zugewandt hatte. Constantia jedoch will den Geheimvertrag holen, der in Berlin sicher verwahrt wird – das wird als Flucht ausgelegt, sie wird festgenommen und auf die Burg Stolpen verbannt, die sie nie wieder verlassen durfte…
Im Johannisturm, wo sie so lange gefangen war, ist heute eine Dauerausstellung auf drei Etagen eingerichtet, Überschrift: „Lebenslänglich Stolpen. Der Mythos Cosel“, dort zu sehen sind u.A. die Räumlichkeiten mit einigen Möbeln, viele Objekte, und darunter ein Brief, den die Gräfin geschrieben haben soll.
Siehe zu dieser äußerst dramatischen wahren Geschichte auch folgende Links (beim Klicken öffnet sich eine neue Seite):
Deutschlandfunk: Beitrag über Gräfin Cosel von Vanessa Loewel
3.) Frei nach dem Motto „Drehbücher sind auch Bücher“:
Durch Zufall stieß ich auf „Watchtower“, einen Film aus dem Jahr 2012 nach dem Drehbuch und Regieführung der türkischen Künstlerin Pelin Esmer.
Hierin geht es kurz gesagt um einen Mann und eine Frau, die beide auf ihre Art vor der Welt zu fliehen versuchen. Er – Nihat – ist ein Türmer, der auf einem kleinen Turm im Wald Ausschau nach Bränden hält; sie – Seher – sucht Zuflucht in einer ländlichen Busstation. Irgendwann begegnen sie sich und sind miteinander konfrontiert…
Im Trailer (www.watchtowerfilm.com) sind total schöne Landschaftsaufnahmen zu sehen, und die beiden seltsamen Hauptpersonen machen einen faszinierenden Eindruck, man bekommt große Lust, sich auf diese Merkwürdigkeiten einzulassen.
Einige angesprochene Fragen kenne ich selbst aus Gesprächen über meine Arbeit im Turm: „Hast Du keine Angst ganz allein?“, „Ist Dir nicht langweilig?“ …
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Das Beitragsbild stammt von „Pezibear“, gefunden unter CC0 Public Domain auf pixabay.com