Lübeck! Schleswig-Holstein! Hansestadt! Thomas Mann! Günther Grass! Willy Brandt! Marzi Pan! Dietrich Buxtehude! Theodor Storm! Werner Bergengruen (fuhr 1933 mit dem Fahrrad durch Deutschland, auch durch Münster, siehe Turmstubenbücher Oktober 2014)! Und: Nordische Filmtage!
Ich schloss mich der Deutsch-Dänischen Gesellschaft Münster e.V. an, denn Organisator der Reise ist Frank T. von der Feuerwehr-Einsatzleitung – einer meiner allabendlichen telefonischen Gesprächspartner, wenn ich mich zum Dienste oben in der Türmerstube melde.
Was wusste ich über Lübeck?
Ähnlich alt wie Münster, zur Hansezeit erhielt Lübeck das Soester Stadtrecht, wurde ebenfalls durch regen Handel reich, im Zuge der Reformationsjahre siedelten sich auch hier Täufer an, eine der Nachfolger-Gruppen um Menno Simons (Mennoniten) gibt es bis heute, Lübeck war im Dreißigjährigen Krieg neutral, der Siebenjährige Krieg brachte der Stadt auch keinen großen Schaden, Lübecker Franzosenzeit: 1806-1813, Travemünde und die Ostsee sind nicht weit … Der erste der „Hansesteine“ in der Münsteraner Salzstraße, von St. Lamberti aus kommend, ist aus Lübeck …
Unsere Reise führt über Hamburgmeineperle (Aufenthalt: 45min, das reicht zum Schuhe shoppen!) direkt nach Lübeck. Schöne türmerinnen-angemessene Ankunft: Emporführende Holztreppen am Bahnsteig!
Der Weg in die Innenstadt geht am berühmten Holstentor vorbei – schauschau, staunstaun, freufreu.
Beim mehrtägigen Extreme-Sightseeing sehen wir alles durch die Münsterbrille, Vergleiche werden gezogen, lustige und berührende Momente gibt es zuhauf. Ein kleiner Einblick:

Hat jemand den Zwinger an der Promenade saniert? Nein! Hier befindet sich der Verein für Familienforschung e.V. Lübeck!
Fakten und Feststellungen:
Die Altstadt von Lübeck hat Weltkulturerbe-Status.
Es gibt 5 Hauptkirchen – daher der Name „Stadt der 7 Türme“: St. Marienkirche (zwei Türme), St. Jakobi-Kirche (Seefahrerkirche), St. Petri-Kirche, St. Aegidien-Kirche, Dom St. Nikolaus (zwei Türme).
Funfact: Wenn man von der Mühlenstraße aus in Richtung Dom geht, auf die Nordfassade zu, geht man durch das Fegefeuer – so heißt die kleine Straße, die geradewegs auf die Torhalle des Doms, das Paradies, zuführt! Auch der Münsteraner Dom hat natürlich ein Paradies – aber das Fegefeuer ist in Münster eine Schänke mit Mittelalterflair in Von-Kluck-Straße (weit entfernt vom Paradies)…
Genau wie in Münster gibt es stadtbildbestimmend viele Grünanlagen – in Lübeck gibt es aber signifikant mehr Wasser – die gesamte Innenstadt ist von Wasser umgeben (Trave), ungefähr so, wie Münster von der Promenade umgeben ist.
Die Kirche der (katholischen) Studierenden- und Hochschulgemeinde heißt in Münster St. Petri. Und in Lübeck heißt die Kultur- und Universitätskirche auch St. Petri (sie ist heute vor allem Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, Aussichtsplattform).
→ Aufgemerkt! Die St. Petri-Kirche in Lübeck besitzt eine Aussichtsplattform – Ha! Nichts wie hin da! Vorher hatte mich eine nette Kollegin im Welcome Center der Tourist Information hinter dem Holstentor noch an einen bescheidwissenden und sich auskennenden Kollegen im Rathaus verwiesen – dieser erzählte dann, er mache nämlich auch Gästeführungen als historisch gewandeter Edelmann, und nannte weitere Must-Sees für meinen Aufenthalt, Türmer habe es zuletzt während der Franzosen-Zeit gegeben. Ich regte im Gegenzug an, die historisch bedeutsame Stadt Lübeck doch vielleicht mit einem brauchtumpflegenden wiederbelebten Türmerposten auszustatten – ich könnte ja vielleicht als Austausch-Türmerin einige Tage im Jahr im Urlaub… zwinkerzwinker, grinsgrins.
Nun stehe ich also erstmalig vor St. Petri. Hanseatische Backsteingotik.
Eine Turm-Tür gibt’s auch, aber der Haupteingang ist um die Ecke.
Für drei Euro (Erwachsene) darf man hinauf – zunächst ein paar vielversprechende Treppenstufen, doch dann, eine Öffnung… zum Lift! Leider ist es nicht möglich (auch für Türmerinnen aus Münster nicht – das war beim Berliner Fernsehturm schon so enttäuschend), zu Fuß Stufe um Stufe ganz hinaufzugehen, die Kollegin im Ticketkabäuschen kann nicht genau sagen, wie viele Stufen es wären, über 200 aber mit Sicherheit, meint sie; und als ich ihr darlege, warum mich das von Berufs wegen interessiert, berichtet sie, ihre Tochter sei zum Studieren nach Münster gezogen! Dieses Detail schreibe ich auf meine Indizien-Liste („Münster = Mittelpunkt der Welt“).
Der Lift zuckelt in etwas über 30sec nach oben und spuckt einen ein paar Stufen unterhalb der Aussichtsplattform wieder aus. Oben sind in vier Ecken blaue LEDs an je drei kleinen Metallstufen, die zu einer erhöhten Aussicht führen.
Von überall kann man ganz prima über die schöne kleine Stadt schauen, an guten Tagen soll man auch Travemünde sehen können – heute allerdings nicht, denn ich habe den Münsteraner Meimel mitgebracht (man will sich ja auch in der Fremde ein bisschen daheim fühlen) und die Wolken hängen schwer vom Himmel. Aber ich schaue, staune, freue mich über weitere kleine Münster-Vergleiche:
Und ich bin nicht die einzige schauende, staunende, sich freuende Reisende: mit anderen Gästen komme ich ins Gespräch (sind Sie auch nicht von hier, wie gefällt’s Ihnen so, gehen Sie auch zu den Nordischen Filmtagen, das Übliche eben). Und meine Indizien-Liste (siehe oben) füllt sich… Eine Frau berichtet, ihre Schwester singe ja in einem Gospelchor in Münster; eine andere, dass sie gerade überlege, nach 40 Jahren Dänemark wieder zurück nach Münster zu ziehen; ein Mann sagt, Münster sei die Stadt seiner Großeltern gewesen, da wollte er immer schon mal hin; ein weiterer erzählt, er habe schon etwas über mich im Fernsehen gesehen, bei seinen früheren Münsterbesuchen habe er gar nicht gewusst, dass es einen Türmer gebe…
Ich genieße noch lange die Aussicht und stelle mir vor, wie ein Turmwächter sich hier in Lübeck gefühlt haben mag…
Von dem Kollegen im Rathaus nämlich erfuhr ich auch, dass leider keine Turmstube oder ähnliches mehr existiert – nur auf St. Jakobi gebe es einen Stuhl und einen Tisch oben im Turm, die einmal dort arbeitenden Handwerkern gedient haben müssen, und zwar in einer der Kugeln am unteren Rande des Turmhelms; man erzählt sich, dass auch Frühstücksreste dort gefunden worden seien – aus dem 18. Jahrhundert stammend… Und noch ein Grund, zu St. Jakobi zu pilgern (Jakobus der Ältere ist ja der Schutzheilige der Wallfahrer!): Die älteste der vier Glocken, die Pulsglocke, wurde 1507 von dem im Münsterland sehr bekannten Gerhard van Wou höchstselbst gegossen – der begegnete uns ja schon mal in meinem Glocken-Special (klick!). Im Turm soll sich auch ein großes Tretrad mit Seilwinde befinden – ganz ähnlich wie im Turm von St. Georg zu Nördlingen… doch ich schweife ab.
Als ich St. Jakobi besuche, sagt die Mitarbeiterin bei den Flyern und Büchern am Eingang, den Turm könne man nur ab und an nach Voranmeldung und mit einer Gruppe besichtigen… also kommt dies auf die To-Do-Liste für den nächsten Lübeck-Besuch.
Das gilt auch für die Türme von St. Marien, wo ich sonntags einen sehr inspirierenden Gottesdienst (echt evangelisch mit Abendmahl) besuche. Gerade macht die Wanderausstellung „Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen“ Halt in St. Marien (bis 20.11.2016). Diese Kirche ist wirklich riesig… und besitzt – wie der St. Paulusdom zu Münster – eine Astronomische Uhr, ein 1950er/60er-Jahre-Nachbau der Uhr aus dem 16. Jahrhundert, die im II. Weltkrieg zerstört worden ist, hier laufen acht Stellvertreter der christlichen Völker und werden von Christus gesegnet. Und noch etwas Verbindendes: Baumberger Sandsteinreliefs des Bildhauers Heinrich Brabender aus dem 16. Jahrhundert! Übrigens bezahlt von der Familie Saliger, das klingt doch fast wie mein eigener Nachname. 😉
Abends sitzt dann jemand im Kino neben mir, der – natürlich – vier Jahre lang in Kiepenkerl-Nähe gewohnt hat, wir trinken einen Kaffee zusammen und plauschen über Münster und die Welt (Hei, Kai! When in Münster – Cavete, gell?).
Ich behaupte: An jedem Ort dieser Welt werde ich an Menschen mit Münster-Bezug geraten. 😀
In Lübeck gibt es einfach total viel originale Substanz zu sehen und zu erfahren, das ist sehr berührend. Im II. Weltkrieg wurde nämlich – anders als in Münster – „nur“ etwa ein Fünftel der Altstadt zerstört.
Hier kommen weitere kleine (unvollständige und subjektive) Vergleiche der Stadt meines Herzens MS und der Neu-Entdeckung HL:
Nicht-kommerzielle Bräuche
Münster: Grünflächenunterhaltung rund um die Promenade, Festtags-Singen unter den Bögen zum Stadthaus-Glockenspiel | Lübeck: Mai-Singen unter den Rathaus-Arkaden – „Der Mai ist gekommen“ wurde von Emanuel Geibel aus Lübeck gedichtet!
Domimmunität
Münster: letzter Rest noch erkennbar in der Domgasse, auf dem Domplatz sehr gut nachvollziehbar | Lübeck: um den Dom herum ebenfalls sehr gut erahnbar (südliche Altstadt)
Kirche der Bürgerschaft und des Rates
Münster: St. Lamberti | Lübeck: St. Marien
Rathaus
Münster: am Prinzipalmarkt, im II. Weltkrieg zerstört, wiederaufgebaut, Friedenssaal, Spruch: „Audiatur et altera pars – Men hoere beide Parte„, Europäisches Kulturerbesiegel | Lübeck: am Markt, kein einheitlicher Stil, immer wieder erweitert worden, Spruch: „Beide Part schal ein Richter horen und den ordel“, Kriegsstube mit Rathausschatz wurde im II. Weltkrieg zerstört …
Arkaden / Bogengänge
Münster: Prinzipalmarkt | Lübeck: Rathaus und Marktanlage

Bogengänge, ein Fahrrad und Leute mit Schirm – das könnte fast Münster sein – es sind aber die Rathaus-Arkaden zu Lübeck!
Oh… vielen Dank fürs mitnehmen.
Was für ein toller & interessanter Beitrag!
LG, Petra
ahhh brabender … 😉
Hallo Martje, schön, dass Du andere an Deinem Lübeck-Besuch teilhaben lässt!
Ich hab mal privat eine Woche in der In der Altstadt in der „Kleinen Gröpelgrube“ gewohnt.
Das war ein schmales Handtuchhaus, dafür aber sehr hoch! Warst Du auch in der Schiffergesellschaft essen? Alles Gute und gute Heimfahrt nach Münster, wünscht Günter aus Herne!
Ja! Lecker und fein war’s! Vielleicht starte ich mal ein zweites, ganz privates Blog unter dem Titel „Schnabulieren in den Altstädten Europas“… oder so 😉 Europäische Grüße nach Herne!
Wieso ist es eigentlich in Münster (für Nicht-Türmerinnen) so unmöglich, irgendwelche Kirchen zu erklimmen? Quasi jede andere Stadt dieser Größe, die ich kenne, bietet wenigstens ein, zwei Aussichten an …
Backsteingotik: Unbedingt mal nach Toruń fahren! Mehr davon gibt’s, glaub ich, nirgends.
Nichts ist unmöglich – manchmal bietet die Kirchengemeinde St. Lamberti Turmführungen an, nicht regelmäßig, aber zu besonderen Gelegenheiten (die Städtische Türmerin macht so etwas nicht, ihr „gehört“ der Turm ja aber auch nicht). Eine wunderschöne Aussicht bietet sich auch von der 11. Etage des Stadthauses 1 (Kantine), bis zur Renovierung frei zugänglich.
Toruń – oh ja, das stimmt! Die Stadt ist wirklich unfassbar schön und schön voll von Backsteingotik! Während meiner Zeit am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte d. Deutschen im östlichen Europa war ich dort auf Exkursion, unvergesslich!
Klar, dass DU dafür nicht zuständig bist, aber Du weißt ja zumindest über die Türme hier und anderswo Bescheid 🙂 Richtig, das Stadthaus gibt’s, aber man hat ja schon turmigere Türme gesehen. Auch ist es ja gerade herrlich, mal verschiedene Perspektiven auf eine Stadt zu bekommen (das fand ich an Paris toll, wo die Stadt in allen Himmelsrichtungen von Aussichtspunkten umgeben ist. Triumphbogen im Westen, Sacré-Cœur im Norden, Pantheon im Süden, Centre Pompidou mittendrin …).
Stimmt – wann immer man die Gelegenheit bekommt, von oben auf eine Stadt blicken zu können, sollte man sie fix ergreifen, ich mag das auch sehr! Allerdings: Münster ist einfach keine klassisch in die Höhe gewachsene Stadt (wie andere Großstädte), und unsere Kirchtürme sind nicht touristisch erschlossen, dafür punkten wir mit anderen Events und Orten. …und den Blick von oben ermöglichen findige Kollegen: z.B. http://www.muenster-above.de/