Während ich diese Zeilen schreibe, läuft eine Kassette (ja – eine Kassette, ein Mix-Tape sogar, ein Relikt aus der Zeit kurz nach dem Kartoffel-Krieg!) mit Songs des kürzlich verstorbenen David Bowie. Und bei „Changes“ sprudeln meine Gedanken geradezu über. In Kurzschrift-Hieroglyphen, die nur Türmer*innen verstehen, schreibe ich mit links so viele der flüchtigen Gedanken auf und tippe sie anschließend mit 7-8 Fingern beider Hände in das mobile Dienstendgerät von der Obstfirma.
Zwei Jahre auf dem Turm von St. Lamberti zu Münster, Westfalen.
Der Turm „staoht fast“, wie so ein echter westfälischer Turm eben fest steht – jedenfalls seit 1898.
Manchmal, bei Sturm wie neulich in der Rosenmontags-Nacht, geradezu ein Wunder, dass er nur ein wenig wackelt – der Statik wegen sinnvoll – und nicht seine Flügel ausbreitet und abhebt…
Wenn man allabendlich bewusst und hochkonzentriert aus der Höhe auf die Stadt blickt, nimmt man immer wieder Veränderungen wahr. Kleine und große. Diese Stadt ist so schön, geschichtsträchtig und selbstbewusst- ihre alten Werte und Traditionen lebt sie aktiv, und neue Impulse und Errungenschaften haben wie selbstverständlich ihren Platz und Berechtigung.
Der Türmerposten vereint in sich gelebtes, bewährtes und bewahrendes Brauchtum und moderne Jetzt-Zeit, nicht zuletzt auch durch das Integrieren dieses Blogs in die Aufgaben eines der ältesten Ämter Europas… Alt und Neu verstehen sich bestens in Münster – da kommt’s schon mal vor, dass der Nachtwächter – total in seinem Element: „Gott zum Gruße, Gevatter!“ – zum Fotoshooting vor die Lambertikirche geladen wird, auf dass die Fotos dann auf Hochglanz erscheinen mögen:
Der Nachtwächter beim Fotoshooting mit Wolfgang Schmidt http://www.wolfgang-schmidt-foto.de/
Während meiner Dienstzeit habe ich unter Anderem die Installation des neuen Lichtkonzeptes am Domplatz miterlebt – ein anderes, schöneres Licht erhellt jetzt den Platz in der Mitte Münsters vor dem Paulus-Dom – von der Galerie auf St. Lamberti besonders gut sichtbar.
Die Fenster der Bettentürme des UKM leuchten auch des Nächtens links hinter der Kreuzkirche (von mir aus gesehen) – und in diesen Tagen leuchten in rot davor die Lichter eines Baukrans, denn die Fassaden bekommen ein Face-Lift.
Apropos Heilig Kreuz-Kirche:
Dass Pfarrer Frings sich bis auf Weiteres verabschiedet und ins Kloster gehen möchte, vernahm ich mit Bedauern und Verständnis gleichermaßen – ich wünsche ihm genau die Zeit und Ruhe, die er für sich braucht. Er ist der Initiator der schönen Lichtworte an „seinem“ Turm: JA ICH BIN DA versichert uns diese Schrift, ein Wort pro Himmelsrichtung; vom Lambertiturm aus liest man: ICH BIN…
Heilig-Kreuz-Kirche, Foto: Svenja Haas, Münster
Verlass ist auch fast immer auf das strahlende Leuchten der Hammerstraße – wie eine Flugzeuglandebahn ist sie meistens hinter der Ludgerikirche zu sehen, deren höchster Turm ebenfalls so schön leuchtet.
Ludgeri-Kirchturm, Foto: Johannes Giebeler, Münster
Manchmal jedoch war die Stadt schon von schwerem Nebel umhüllt, und die Flugzeuglandebahn war verschwunden, genau wie auch der St. Paulus-Dom, so nahe und doch so unsichtbar – frappierend!
Die kleinen Fähnchen, die den Prinzipalmarkt zu Fest-Zeiten schmücken, sind immer wieder ein Blickfang, besonders von oben, und auch die jahreszeitlich wechselnde Behängung der Bögen – Laternen, Adventskränze, Blumen… – all das beobachtet und bestaunt von den Turmfalken und den diensthabenden Türmer*innen.
Prinzipalmarkt mit Fähnchen zum Karneval
Neben den von Menschenhand gemachten Veränderungen wechselt auch stets das Licht der Sonne und des Mondes – romantisch, spektakulär, gruselig – für jeden Geschmack etwas dabei! Die Vorgänger in grauer Vorzeit (der Zeit der Mixtapes und sogar noch früher!) haben sogar den Sonnenaufgang vom Turme aus gesehen… und Hildigardis spinnt ihr Netz mal hier, mal dorthin, und wenn es zufriert, klopft sie an die Türmerstubentür, ich lasse sie herein zum Aufwärmen…
Das Netz der Hildigardis, Foto: Martje Saljé, Münster
Hier und erscheinen und verschwinden Baustellen – die größten momentan u.a. das Winkhaus-Gelände am Niedersachsenring und der neue Hauptbahnhof – auf den ich schon sehr gespannt bin!
Auch wenn man so viele kleine und größere Veränderungen hier oben besser als anderswo bemerkt, bleibt doch auch Vieles, wie wir es gewohnt sind, und das, was bleibt, wirkt unter Umständen auch beruhigend und macht einen gelassener und fähig, das Neue, Ungewohnte, auszuhalten – und im besten Fall auch: Das Neue zu lieben.
In diesem Sinne: Auf die nächsten hundert Jahre und noch viel Ch-ch-ch-ch-changes, Altes und Neues, auch auf diesem Blog! 🙂