Maria Anna, genannt Jenny, wird am 2. Juni 1795 geboren und hat drei jüngere Geschwister: Anna Elisabeth, genannt Annette (2 Jahre jünger), Werner Constantin (drei Jahre jünger) und Ferdinand (fünf Jahre jünger, er stirbt mit nur 29 Jahren an Tuberkulose).

Mit 18 Jahren lernt Jenny Wilhelm Grimm kennen – der von den Gebrüdern Grimm, den Märchen-Sammlern! – und es verbindet sie eine langjährige Brieffreundschaft, aus der man mutmaßen kann, dass es gleichermaßen eine unerfüllte Liebe gewesen ist, denn es gibt Lücken, die zeitlich mit Grimms Verlobung mit einer Apothekerstochter zusammenfallen, und entsprechende Tagebucheintragungen Jennys. Jenny trug zur bekannten Märchenammlung der Grimms übrigens unter anderem „Die zertanzten Schuhe“ bei.

Interessant zu wissen:

Jenny war übrigens eine der letzten sogenannten Stiftsdamen des Klosters Hohenholte in Havixbeck („Wenn ich könnte, wie ich wollte, blieb ich stets in Hohenholte“ – so trällert ein guter Freund immer vor sich hin).
Damit sollte ihre Zukunft gesichert werden, als Stiftsdame konnte sie von den Einnahmen des Klosters leben und es trotzdem jederzeit wieder verlassen, falls sie heiraten wollte.

Dieses Stift war von Benediktinerinnen gegründet worden, später von Augustinerinnen geführt und schließlich 1557 zum freiweltlichen Damenstift und diente später der Versorgung adeliger Frauen. Unter Napoleon 1811/12 wurde die Einrichtung geschlossen bzw. säkularisiert.

Nach dem Tod des Vaters verlassen die Schwestern Annette und Jenny 1826 mit ihrer Mutter Therese-Louise die Burg Hülshoff und ziehen auf den Witwensitz nach Haus Rüschhaus.

Jenny heiratet mit 39 Jahren den 64jährigen ehemaligen Fürstlich Fürstenbergischen Forstmeister Joseph Freiherr von Laßberg, seines Zeichens Witwer, großer Liebhaber der deutschen Literatur- und Altertumsgeschichte und aus einer österreichischen Adelsfamilie stammend, und bekommt mit ihm 1836 die Zwillingstöchter Hildegard und Hildegund(e) – Hildegund(e) wird 73 Jahre alt und Hildegard 78 Jahre alt werden.

Trotz ihres eigenständigen Lebens fern der alten Heimat schreibt Jenny sich mit ihrer Schwester Annette sehr viele Briefe, die auch erhalten sind.
Vom schweizerischen Kanton Thurgau zieht die Familie von Laßberg dann an den Bodensee auf das Schloss Meersburg, das im Zuge der Säkularisierung finanzkräftige neue Besitzer gesucht und gefunden hat. Hierher kommt mehrfach die – damals noch nicht, aber heute umso berühmtere – Schwester Annette zu Besuch und arbeitet an Gedichten und Prosawerken. Der Schriftsteller und Annette freundschaftlich verbundene Levin Schücking wird durch Vermittlung Annettes als Bibliothekar der Familie von Laßberg auf Schloss Meersburg angestellt.

Annette schrieb am 14. Oktober 1846 an Pauline,
die Frau ihres Cousins von Schloss Meersburg aus:

Ich wohne hier sehr angenehm, nach meinem Wunsche wiederum in einem der Türme, aber dieses mal durch einen gedeckten Säulengang mit dem Schlosse verbunden, mein Quartier ist ungemein hell und freundlich, und hat die Aussicht über den ganzen See.
Ich komme auch selten heraus, außer zum Mittag- und Abendessen, Jenny und die Kinder aber oft zu mir.

Am 24. Mai 1848 schließlich stirbt Annette auf Schloss Meersburg und wird auch hier begraben.
Zeitlich-historische Einordnung:

Baden war eines der Zentren der Revolution in Deutschland. Vor dem Meersburger Rathaus wurde die Republik ausgerufen. Der alte Lassberg verteidigte mühevoll seine Burg gegen den Zugriff der Revolutionäre. Das alte Fräulein Annette, gepeinigt von ihrer Krankheit, ohne Verstand für die politische Unruhe in Stadt und Land, legte sich in ihrem Turmzimmer zu Bett, um schließlich zu sterben.

Quelle: Rolf Schneider, Das späte Mädchen vom See,
in: ZEIT Online, 7. Oktober 1983 (Klick!)

Die Schwestern haben sich zeitlebens immer gut verstanden, und offenbar hat Jenny auch schon früh das große Talent ihrer jüngeren Schwester erkannt und sie immer unterstützt.

An Wilhelm Grimm schreibt die treue Seele Jenny im Jahr 1846:

„…ich gedenke noch oft unserer Jugendzeit… dieselbe unveränderte Freundschaft lebt noch in meinem Herzen für Sie und Ihre Frau… ich hoffe, daß Sie beide auch mich nicht vergessen haben und einmal in den Ferien zu uns an den Bodensee kommen werden, wo es so schön ist, und wo wir ein stilles, glückliches Lebens führen. Mein lieber Mann und die Kinder sind gesund, sie machen uns viel Freude… Leben Sie wohl, lieber Freund!“ (Jenny von Laßberg an Wilhelm Grimm, 9. August 1846)

Jenny ist auch eine sehr talentierte Zeichnerin, hier eine Bleistiftzeichnung des Buddenturms um 1830 aus dem Privatbesitz der Autorin und Verlegerin Liselotte Folkerts:

Der Buddenturm, Zeichnung von Jenny Droste-Hülshoff, um 1930

Der Buddenturm, Zeichnung von Jenny Droste-Hülshoff, um 1830

Als 1855 ihr Mann Joseph im Alter von 85 Jahren stirbt, kehrt Jenny in ihre geliebte Heimat zurück. Vier Jahre später stirbt auch sie, und zwar an einer fiesen tödlichen bakteriellen Infektion – an Tuberkulose, mit 64 Jahren, am 29. Dezember 1859.

Die Ruhestätte der Familie von Droste zu Hülshoff, wo Jenny auf ihren letzten Wunsch hin begraben wird, ist auf dem Friedhof in Roxel, ein großer Felsstein mit bronzener Schrift und dem bronzenen Familienwappen darauf.


Veranstaltungshinweise: 

Mittwoch, 6. Juni 2018 um 17:00 Uhr – STADTBÜCHEREI MÜNSTER: Die Droste und Elise Rüdiger. Der Literaturwissenschaftler Dr. Jochen Grywatsch beleuchtet mit einem Vortrag die Freundschaft der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff mit Elise Rüdiger. Die Schauspieler und Sprecher Carolin Wirth und Carsten Bender präsentieren Gedicht- und Briefauszüge in einer szenischen Lesung in Kooperation mit der Droste-Gesellschaft  in der Kulturetage der Stadtbücherei.

Samstag, 9. Juni 2018 um 15:00 Uhr – HAUS RÜSCHHAUS: „Als das Wünschen noch geholfen hat…“ – Annette von Droste-Hülshoffs Gedichte, rezitiert und inszeniert von Carolin Wirth und Carsten Bender, Entwicklung eines Programms gemeinsam mit dem Droste-Experten Dr. Jochen Grywatsch, das die Droste-Texte je in die Nachbarschaft von Komplementärtexten aus der ganzen Literaturgeschichte stellt. Im Rahmen des Tages der Gärten und Parks. 

Sonntag, 10. Juni 2018 um 15 Uhr – BURG HÜLSHOFF: Lesung mit Carolin Wirth und Carsten Bender, s.o.

Samstag, 16. Juni 2018 und Sonntag, 17. Juni 2018, jeweils um 16 Uhr – BURG HÜLSHOFF: Lesung mit Carolin Wirth, s.o.


Quellen und Literatur:

Liselotte Folkerts, Münster. Nicht immer war es Liebe auf den ersten Blick. Münster und das Münsterland in Stimmen und Bildern durch Jahrhunderte. Laumann Verlag, Dülmen 2008 (2. Auflage)

Karl Hagemann, 100 prominente Münsteraner und ihre Grabstätten. Ardey Verlag, Münster 2015

Karl Schulte Kemminghaus (Hrsg.), Briefwechsel zwischen Jenny von Droste-Hülshoff und Wilhelm Grimm. Aschendorff Verlag, Münster 1929

Rainer A. Krewerth (Hrsg.), Annette von Droste-Hülshoff 1797-1848. Wie sie lebte. Wie sie war. Was sie schrieb. Aschendorff Verlag, Münster 1993 (2. Auflage)

Sammlung Droste-Hülshoff in der ULB Münster

Winfried Wösler (Hrsg.), Droste-Hülshoff, Annette von. Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Niemeyer Verlag, Tübingen 1993 (Band 9.1)

Droste-Portal des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL)

Burg Hülshoff – Center for Literature 

Klaus Gantert, Die Bibliothek des Freiherrn Joseph von Lassberg. Ein gescheiterter Erwerbungsversuch der Königlichen Bibliothek zu Berlin in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Universitätsverlag C. Winter 2001

Gebrüder Grimm Märchen: Die zertanzten Schuhe online (und alle anderen Märchen)