Turmstuben-Bücher August 2014

Ein Blick in die Turmstuben-Bibliothek zeigt….

Hermann Heckmann: „Sonnin und der Michel. Ein heiterer Bilderbogen“, Rogner & Bernhard für die Stiftung St. Michaelis, Hamburg 2002 in Zusammenarbeit mit trojan books

Pierre Barret und Jean-Noël Gurgand: „Der König der letzten Tage. Die grauenhafte und exemplarische Geschichte der Wiedertäufer zu Münster 1534-1535“, Deutsche Übersetzung von Michèle Schönfeldt. Ernst Kabel Verlag, Hamburg 1993 (Original: „Le roi des derniers jours“, Verlag Hachette, Paris 1981)

Christa Farwick und Adam Riese: „Das Münsterbuch. Der Stadtführer“, Daedalus Verlag Joachim Herbst, Münster 2014 (5)


 

Das außergewöhnliche Buch „Sonnin und der Michel. Ein heiterer Bilderbogen“ ist ein Geschenk des Hamburger Turmbläsers Josef Thöne, der mit Trompete und einer Gesandtschaft zu Gast in Münster und auf dem Lambertikirchturm war. 

Der Professor für Architektur a. D. von der FH Hamburg Hermann Heckmann hat alles über das Leben und u.a. den Bau der St. Michaelis-Kirche zusammengetragen und mit wunderbaren Zeichnungen versehen. Dieser „Heitere Bilderbogen“ ist äußerst interessant – der Baumeister Ernst Georg Sonnin (1713-1794) kommt selbst zu Wort, seine Abenteuer sind in der Ich-Form geschrieben, er hat unglaublich viel gebaut, restauriert und begutachtet, und beim Anschauen und Lesen hat man das Gefühl, live im 18. Jahrhundert dabei zu sein. Wenn man nun die Sonnin-Gebäude (außer der St. Michaelis-Kirche –  dem bedeutendsten protestantischen Kirchenbau des Barock – z.B. noch die Drostei in Pinneberg und Universitätsgebäude in Kiel uvm.) besucht, wird man sie nach der Lektüre dieses Werkes mit ganz anderen Augen begreifen. 

Aus dem Vorwort von Helge Adolphsen, dem Hauptpastor an St. Michaelis:

„(…) Mit diesem so liebenswerten wie fundierten Buch liegt eine (neue) Hamburgensie vor. Eine Kostbarkeit und Rarität. Für alle Freunde des Michel und Hamburgs (denn der Michel steht für Hamburg, ‚Ein zweites Wahrzeichen braucht es nicht‘, würde Sonnin sagen!). Für Architekten, Ingenieure, Investoren, Bauträger, Vorstände von Baugesellschaften, Bauherren, Architekturliebhaber, Michelfreunde. (…)“

Ich möchte hinzufügen: Für Türmerinnen und Türmer, bisherige Geschichtsmuffel, Weltenbummlerinnen und Weltenbummler…! Beim nächsten Besuch der schönen Hansestadt Hamburg bitte beim Kollegen Josef Thöne und seinem Co-Türmer vorbeischauen, einmal auf den Michel klettern, von mir grüßen und im Souvenirshop das schöne „Sonnin und der Michel“-Buch mitnehmen, es lohnt sich (alles)! 🙂


Das Buch über die „Wieder-„Täufer um Jan Bockelson, genannt Jan van Leyden, „Der König der letzten Tage…“ ist eine Leihgabe meines geschätzten Informanten und Recherchehelfers Hermann Hagenhoff von der ehrenamtlichen Präsenzstelle in der St. Lambertikirche.
Die Körbe, in denen – wie damals üblich – die Leichen der – wie ebenfalls üblich – mit glühenden Zangen zu Tode gefolterten Anführer der sogenannten Wiedertäufer, hängen noch heute am Kirchturm von St. Lamberti in Münster. Die Türmerstube ist oberhalb dieser historischen Mahnmale, so dass der tägliche Weg der Türmer und heute der Türmerin an ihnen vorbeiführt.
Was in Münster so reizvoll ist: die Fülle von historischen Zeugnissen und Reminiszenzen; nach der Lektüre dieses vorliegenden Werkes wird man mit anderem Blick durch die Stadt gehen.
Das Buch der beiden Franzosen ist zeitgleich mit dem gleichnamigen ZDF-Opus in deutscher Übersetzung auf den Markt gekommen. In der mir vorliegenden Ausgabe ist denn auch ein „Special“ über den Film mit vielen Bildern.
In der Hauptrolle des Jan Bockelson: Der unvergleichliche Christoph Waltz! Und der ebenso unvergleichliche Mario Adorf spielt den Fürstbischof von Waldeck!
Während das Buch (vielleicht auch wegen der Übersetzung?) ziemlich märchenhaft anmutet – die Ereignisse um die Endzeitsekte und die unitäre Zuspitzung aufgrund der Belagerund der Stadt durch den Fürstbischof usw. sind durchgehend im Präsens geschrieben – sind die Fotos und Hintergrundinfos im Sonderteil zum Film sehr interessant:
Verblüffend finde ich zum Beispiel dieArchitektur des Films; der Architekt Jan Kott hat mit 150 Bauleuten den gesamten Prinzipalmarkt von Münster nachgebaut. Giebelhäuser, Rathaus, die Fassade von St. Lamberti – alles schick extra für den Film detailliert nachgebaut!
Im Epilog versuchen die Autoren sich an einer Einordnung der historischen Ereignisse und einer eventuell daraus ziehbaren Moral:

„Wie will man verhindern, daß das unwiderstehliche Bedürfnis nach Glauben nicht eines Tages in ein totalitäres System mündet? (…) Immer wieder müssen wir darauf gefaßt sein, daß Einzelne oder Gruppen einen Zustand akuter Krisen oder Unruhen ausnutzen, um im Namen des Heils aller das Monopol der Wahrheit und der Macht an sich zu reißen. (…) All das wissen wir. Aber wenn es wieder so weit ist, (…) dann vergessen wir unversehens die Lehren aus der Geschichte, einmal mehr bereit, Jan van Leyden zu folgen.“ (S. 276)

Auf jeden Fall bietet dieses Buch reichlich Stoff, um sich auch weiter über die Geschichte Münsters zu informieren, und Anregungen, in die „Wieder-„Täufer-Geschichte einzutauchen, das Stadtmuseum zu besuchen (dort hängen die Replikate der Körbe!), weitere Literatur zum Thema zu wälzen, und nicht zuletzt die Original-Körbe an der Lambertikirche zu betrachten, die heutzutage Kunst beinhalten: Die „Irrlichter“ von Lothar Baumgarten (Skulptur.Projekte 1987)


„Das Münsterbuch“ kommt bescheiden als „Stadtführer“ daher, ist aber weit mehr und einzig in seiner Art.
Christa Farwick und Adam Riese haben zu unzähligen Stichpunkten unvergleichliches Hintergrundwissen versammelt und unterhaltsam aufgearbeitet. Individuelle Rundgänge, Insider-Infos, städtische Highlights, Karten und Pläne sowie Promi-Tipps machen das Buch zu einem kurzweiligen Begleiter auf jedem Stadtrundgang.
Besonderes Augenmerk möchte die Türmerin auf S. 39 legen: Hier wird die Türmerin von Münster vorgestellt 🙂 Dies ist nämlich die ganz neue, aktualisierte Fassung, die 5. Auflage!
Auf den vorherigen Seiten wird die Altstadt und die bewegte Historie u.a. der in obiger Rezension dargestellten „Wieder-„Täufer kurz und dabei präzise beschrieben.
Interessant mit Bezug zur Lambertikirche auch die folgende Episode:

„Am Westeingang der Lambertikirche, zum Prinzipalmarkt hin, begegnet einem der eine oder andere komische Heilige. Rechts neben der Tür steht eine Statue, deren Gesicht zumindest Germanistikprofessoren bekannt vorkommen müsste. Zwei der vier Evangelisten des Bildhauers Anton Rüller weisen nämlich eine bemerkenswerte Besonderheit auf: Lukas trägt die Gesichtszüge von Johann Wolfgang von Goethe und Johannes die von Friedrich Schiller (…). Der Grund für diese künstlerische Säkularisierung der Säulenheiligen ist nicht überliefert. Vielleicht (…) fühlte (man) sich in Goethes Schuld, dem es in Münster an Gastfreundschaft fehlte, als er im Dezember 1792 die Fürstin von Gallitzin besuchte. (…) Heutzutage hätte man jemanden, der im Sitzen einschläft, als vermeintlichen Besuffski aus der Kneipe geschmissen (…) Er hat Münster nie wieder betreten.“ (S. 35 ff.)

Christa Farwick ist in Münsters freier Kulturszene ein wichtiger Name, die Journalistin und Kommunikationsberaterin lebt im Kreuzviertel.
Auch Adam Riese hat ein sehr gutes Renommée in Münsters Kulturszene, als Punksänger, Veranstalter und Entertainer war und ist er mit Leib und Seele dabei.
Er ist u. a. Gastgeber der Adam  Riese Show, in der er münsterrelevante Menschen als seine Gäste begrüßt – am 5. Oktober 2014 übrigens ist die Türmerin von Münster als Gast eingeladen… und die Einladung wurde höchstpersönlich überbracht!

Adam Riese und die Türmerin

Adam Riese und die Türmerin