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Der Centralkirchhof / Zentralfriedhof – Gedenken, Erholung, Kunstgeschichte (Turmstubenbücher Oktober 2020)

Jetzt nahen wieder diese alljährlichen besonderen Gedenk-Tage am Ende des Kirchenjahres, und ich nutze diese Zeit traditionell sehr gerne mit Spazier- und Entdeckungsgängen auf Friedhöfe, die ja laut Stadtplanung als Naherholungsgebiete gelten. Diese Gedenktage meine ich:

  • Reformationstag (Gedenken an den Thesenanschlag Martin Luthers 1517, stiller Gedenktag der evangelischen Kirchen) am 31. Oktober 2020;
  • Allerheiligen (Hochfest in der römisch-katholischen Kirche für alle bekannten – also bereits heiliggesprochenen – und unbekannten – also nur Gott bekannten – Heiligen; auch: „Gedenktag der Heiligen“ in der lutherischen Kirche) am 1. November 2020;
  • Allerseelen (Gedenktag der römisch-katholischen Kirche für die Armen Seelen im Fegefeuer und für alle gläubigen Verstorbenen) am 2. November 2020;
  • Volkstrauertag (staatlicher Gedenktag für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft) am 15. November 2020;
  • Buß- und Bettag (evangelischer Feiertag im Zeichen der Besinnung, Reflexion und Ruhe) am 18. November 2020;
  • Totensonntag (auch: „Ewigkeitssonntag“, der letzte Sonntag des Kirchenjahres, Gedenktag für die Verstorbenen in der evangelischen Kirche) am 22. November 2020

Auf den Spaziergängen über Friedhöfe geht es mir neben dem Gedenken an die Verstorbenen, ihre Verdienste, ihre Vergangenheit, auch um Inspiration, Schöpfungskraft tanken, um Erholung von der übrigen trubeligen Welt, und nicht zuletzt auch um die Entdeckung von berührenden Fotomotiven in dieser ganz eigenen, oft kunstgeschichtlich hochinteressanten Umgebung.

Wien, Österreich

Auf Wiens berühmten Zentralfriedhof in Simmering war ich am Grab von Hans Hölzel, bekannt als Falco:

Foto: m-ART-je, Grabmal Falco, Zentralfriedhof Wien

Und am Grabe Ernst Jandls habe ich deklamiert: ‚Ottos Mops…  (Klick! zur Lyrikline.)

Udo Jürgens’ Grab ziert – natürlich! – ein marmorner zugedeckter Flügel.

Und das Grab des Walzerkönigs Johann Strauss (Sohn) schaut exakt so aus, wie seine Musik klingt:

Foto: m-ART-je, Grabmal Johann Baptist Strauss (Sohn), Zentralfriedhof Wien

Der fantastische Johannes Brahms ist gleich nebenan begraben – Strauss Junior und Brahms kannten sich, Letzterer bewunderte Ersteren überlieferterweise für seinen Top-Hit „An der schönen blauen Donau“. Brahms war ja auch mal in Münster gewesen – 1897 ist er in Wien verstorben, aber vorher hat er noch den Lamberti-Turm gesehen, der da gerade frisch neogotisch aufgebaut ward…

Und an des großartigen Meisters Ludwig van Beethovens Grabmal hat jemand ein rotes Herz-Gebamsel befestigt, was in meinem Kopfe die Missa solemnis erklingen ließ, deren Motto nämlich lautet: Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen:

Foto: m-ART-je, Grabmal Beethoven, Zentralfriedhof Wien

Zu Herzen geht Beethovens unsterbliche Musik tatsächlich, und in diesem Jahr 2020 feiern wir seinen 250. Geburtstag, leider sind viele Veranstaltungen zu diesem Jubiläum pandemiebedingt ausgefallen, manche werden nachgeholt.

Zahlreiche berühmte und unbekannte Gräber gibt es in Wien zu bestaunen – rund 3 Millionen (!) Verstorbene sind dort verzeichnet, etwa 330.000 Grabstellen gibt es…

In Wien kennt man die „schöne Leich“ – ein würdiges Begräbnis mit allem Drum und Dran, was Festliches dazugehört. Das kann man hier sehr gut nachfühlen.

In Simmering um Mitternacht
ein Wanderer einst hat Rast gemacht.
Doch er hat sich zu viel vorgenommen,
er ist nie mehr zurückgekommen...

(Wolfgang Ambros, Es lebe der Zentralfriedhof)

Besonders empfehlen möchte ich auch den Gang über den Alten Jüdischen Friedhof – es ist jüdischer Brauch, einmal entstandene Grabstätten nicht wieder zu entfernen, und so sieht manches hier sehr verwittert und geheimnisvoll aus:

Foto: Manfred Thalmann, Alter Jüdischer Friedhof, Zentralfriedhof Wien

Von Wiens Zentralfriedhof soll es jetzt in meinem Beitrag wieder zurück nach Münster gehen – wir haben hier ebenfalls einen pittoresken und gar erstaunlichen Zentralfriedhof, ebenfalls mit einigen Grabstätten berühmter Persönlichkeiten, nur nicht ganz so vielen Verstorbenen insgesamt wie in Wien – „nur“ etwa 32.000 Grabstellen…

Turmstubenbuch Oktober 2020

Ich möchte an dieser Stelle ein Buch erwähnen, welches eine neue Aufbereitung bereithält:

Martina Fleßner, Franz Waldmann und Ralf Hammecke:
Der Zentralfriedhof Münster neu entdeckt.
Rundgänge zu Persönlichkeiten und historischen Grabstätten.
Band 1.
Verlegt von Dr. Franz Waldmann
mit Unterstützung der Kulturstiftung Senden.

Viele Details werden beim Lesen und Betrachten deutlich, es macht neugierig auf eine Entdeckungstour, und enthält eine interessante Erkenntnis, die mir bislang neu war:

„Die Planung und Gestaltung des ‚Centralkirchhofs‘ nahm der Dombaumeister Hilger Hertel der Ältere vor. Gemäß dem Vorbild für neue Friedhofsanlagen im 18. Jahrhundert legte er den Friedhof nach dem Beispiel der Herrnhuter Brüdergemeinschaft in Sachsen an: eine gleichmäßige Aufteilung und zurückhaltende Gestaltung unter Einbeziehung der Natur.“

(Quelle: a.a.O., S. 11)

Hilger Hertel der Ältere!

Derselbe formidable Baumeister, der mit der Neugestaltung des Daches und mit dem Neubau des Turmes von St. Lamberti beauftragt worden ist, nachdem sein Plan deutlich vom alten Turm abwich… Über den Turmneubau hab ich schon geschrieben, zum Beispiel HIER, Klick!

Und so steht’s ja auch auf dem Grabstein des Hilger Hertel Senior: 

„Erbauer des Lamberti-Turmes“ – sein bedeutendstes Werk!

Foto: m-ART-je, Grabmal Hilger Hertel d. Ä., Zentralfriedhof Münster
Foto: m-ART-je – Turmstubenbuch Oktober 2020

Zu allen verstorbenen Persönlichkeiten gibt’s feine Hintergrundinformationen und Fotos. Mit diesem schönen Band und den darin beschriebenen Rundgängen lässt sich trefflich der Zentralfriedhof zu Münster erkunden!

Moondog, Pinkus Müller, Heinrich Brüning, Professor Landois… sie alle sind in Münsters historisches Gedächtnis eingegangen und werden in diesem Buch würdig erinnert.

Foto: m-ART-je, Grabmal Moondog, Zentralfriedhof Münster

Besonders interessant finde ich die Betrachtungen und Erläuterungen der Grabmäler und -Anlagen. Zum Beispiel hat der Bildhauer Heinrich Fleige vor seinem Tode sein eigenes Grab entworfen und gestaltet – zu sehen ist eine Reliefdarstellung des Josefs-Todes, ein Symbol für einen „guten Tod“.
Dazu steht geschrieben:

„Aufgrund seiner fragilen Gesundheit und des näheren Umgangs mit dem Tod zu seiner Zeit mag Fleige – wie auf seinem Grabmal dargestellt – auf einen „guten Tod“ vorbereitet gewesen sein. Die Weiterführung seiner Werkstatt hatte er rechtzeitig einem seiner tüchtigsten Schüler, Anton Rüller, übertragen.“

(Quelle: a.a.O. S. 95)
Foto: m-ART-je, Grabmal Fleige, Zentralfriedhof Münster

Anton Rüller wiederum fertigte die Figurenreihe am Westportal der Lambertikirche an – wo auch Goethe’s Antlitz zu finden ist…

Wie man hier also wieder feststellen kann, kreist um St. Lamberti die Sonne. Alles lässt sich irgendwann, irgendwie, irgendwo auf St. Lamberti zu Münster zurückführen.

Ich wünsche euch
inspirierende Rundgänge
über den Münsteraner Zentralfriedhof,
über den Wiener Zentralfriedhof
oder über andere Friedhöfe
respektive Naherholungsgebiete,
interessante Entdeckungen der Natur
und Kunst und Geschichte.

Eure Türmerin von Münster


Links:

Zentralfriedhof Münster

Kirche und Leben: Buchvorstellung

Inoffizielle Seite für Wien: Zentralfriedhof Wien

Website „Friedhöfe Wien“: Zentralfriedhof Wien

YouTube: Es lebe der Zentralfriedhof (Wolfgang Ambros)

Wiener Beethoven-Jubiläums-Seite

Sinfonieorchester Münster (Beethoven-Konzerte)

Roll over Beethoven, Podcast-Serie vom SRF mit Christoph Maria Herbst

1 Kommentar

  1. Per Øverland

    Gelesen mit grosse Interesse!

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