Am 65. Todestag der in Münster sehr verehrten Clemensschwester Maria Euthymia beginne ich diesen Text. Es soll ein Text über Gedanken und Erkenntnisse sein, nach der Anregung einiger meiner Leser:innen – nämlich Turm-Erkenntnisse. Und zwar hyperkonfessionell – wie das zum Todestag einer katholischen Ordensfrau passt, dazu komme ich gleich…
Eine wichtige Erkenntnis: Hoch oben in einem Turmzimmer mit Blick auf die Lichter der Stadt fühlt sich das Dasein an wie eine Zwischenstation. Zwischen Himmel und Erde, zwischen Geselligkeit und Einsamkeit, zwischen Alltagsproblemen und friedvoller Sorglosigkeit…
Hoch oben in einem Turmzimmer mit der Aufgabe, eine uralte Tradition mit aktivem Leben zu füllen, fühlt sich das Dasein sehr harmonisch an.
Hoch oben in einem Turmzimmer auf der katholischen Stadt- und Marktkirche St. Lamberti zu Münster stellen sich klare Gedanken und Erkenntnisse ein, die ich wahrscheinlich nirgendwo anders so klar empfinden würde.
Tradition
Meine Konfession, meine Person, nichts von mir ist relevant – die Tradition möchte nur weiter aktiv gelebt werden. Jetzt gebe ich allabendlich außer dienstags die Friedenssignale an euch da draußen weiter, und nach mir wird sich ein weiterer engagierter Mensch um diese besondere städtische Brauchtumspflege in Münster bemühen. Es ist ein gutes Gefühl, für diesen Moment Teil einer jahrhundertelangen Tradition sein zu dürfen.
Am 9. September 2020 beginne ich diesen Text, nachdem mich meine Leser:innen um ein paar philosophische Turm-Einblicke gebeten haben.
Als ich auf halber Höhe bei der Ratsglocke und den Täuferkörben anhalte, sehe und höre ich die Demonstration der Seebrücke Münster. In der letzten Nacht gab es ein verheerendes Feuer im wegen der aktuellen Corona-Pandemie abgeschotteten Lager der Geflüchteten Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Jetzt wird – nicht zum ersten Mal – gefordert, dass den wohlmeinenden Worten zur Solidarität auch Taten folgen.
Nächstenliebe
Nächstenliebe – ob ihr ein „christliche“ vorangestellt wird oder einfach ein „menschliche“ – Solidarität, Empathie, Hilfsbereitschaft; das sind Begriffe, die heute immens viel zählen, und die immer schon für das Fortbestehen der Menschheit wichtig waren. Ich denke an Schwester Maria Euthymia.
Sie starb heute vor 65 Jahren an Krebs. Sie wurde nur 41 Jahre alt. Und das mit ihr verbundene Motto „treu im Kleinen – stark im Glauben – groß in der Liebe“ geht zu Herzen.
Bevor ich nach Münster kam, kannte ich sie und ihre Geschichte nicht. Da ich aber unbedingt und möglichst schnell ganz viel über meine neue Wahlheimat lernen wollte (der Prozess hält an!), war Euthymia im privaten Integrationskurs eine der prominentesten Persönlichkeiten – und zwar über die Konfessionen hinweg, trotz ihres Status als katholischer Seliggesprochener!
Wie kommt das?
In Münster wirkte sie als Wäscherin der Schmutzwäsche des Clemensschwestern-Mutterhauses und der Raphaelsklinik. Eigentlich aber war sie ausgebildete Krankenschwester. In Dinslaken pflegte sie während des Zweiten Weltkrieges die schweren Fälle – hochansteckend kranke Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Als aber das Spital und alles darum durch Bombenangriffe zerstört worden war, wurde Euthymia nach Münster versetzt – in die Wäscherei.
Weil sie ihr ganzes Leben lang gutwillig, fröhlich, schicksalsergeben war und offenbar niemals zweifelte, dass ihr Aufgabe auf Erden einen Sinn hatte, der später vor Gott gewürdigt werden würde, wird sie bis heute sehr bewundert.
Ich diente und mein Lohn ist Frieden.
Ich glaube, ihre Lebensgeschichte – nachzulesen auf den sehr gut gemachten Internet-Seiten der Clemensschwestern und zu erfahren in der Ausstellung im Euthymia-Zentrum – inspiriert immens.
Zum einen sicherlich häufig aus persönlich erfahrenem und gelebtem katholischen Glauben heraus – Euthymia, geboren 1914 als Emma Üffing in Halverde, wollte bereits früh eine Ordensschwester werden, nach ihrem Tod 1955 geschah offenbar ein Heilungswunder: eine andere Clemensschwester erlitt Quetschungen und Verbrennung an der Hand, betete am offenen Sarg von Euthymia und ihre Hand heilte überraschend schnell; auf dieses bezeugte Wunder gründet schließlich die Seligsprechung im Jahr 2001 nach der oft üblichen langen Vorbereitung. Bis heute sprechen und schreiben die Menschen Fürbitten, in denen sie Euthymia anrufen, ihnen bzw. ihren Mitmenschen zu helfen – sogar digitale Fürbitten gibt es heutzutage.
Zum anderen wird Euthymia auch hyperkonfessionell als inspirierende Persönlichkeit angesehen. Ihre Grabstätte auf dem Zentralfriedhof Münster ist eine schlichte Kapelle mit Sitzgelegenheiten zum Verweilen und Fürbitten sprechen und unzähligen Kerzen. Auch Menschen, die nicht am katholischen Kirchenleben teilnehmen, haben hier Gelegenheit des Innehaltens.
Ich selbst bin immer wieder gerne auf dem Zentralfriedhof und denke vor allem an die historische Emma Üffing, spätere Clemensschwester Maria Euthymia.
Katholikentag 2018
Beim Katholikentag 2018 habe ich die große Ehre gehabt, gemeinsam mit den Clemensschwestern vom Euthymiazentrum eine Feierstunde zu planen und durchzuführen. In der Mutterhauskirche gab es inspirierende Texte, Gebete und Lieder – super unterstützt wurden wir durch einige sehr begabte Sängerinnen der Gesangsklasse von Miriam Köpke, damals an der Westfälischen Musikschule Münster. Das war toll!
Turmstubenbücher
Ich lese gerne Zeitzeugenberichte und historische Fachbücher, aber auch Biografien; und schon sind wir bei den Turmstubenbüchern des Monats September 2020, da nehme ich mir (teils wiederholt!) die folgenden Werke vor:
1.) Schwester Maria Euthymia. P. Wendelin Meyer O. F. M. Selbstverlag Clemensschwestern Münster, 1963
2.) Schwester Maria Euthymia. Ihr Leben. ihre Seligsprechung. Ihre Ausstrahlung. Dialogverlag, Aschendorff, Münster 2001
3.) Ich diente und mein Lohn ist Frieden. Die Clemensschwester Maria Euthymia in den Erinnerungen des kriegsgefangenen französischen Soldatenpriesters Emile Eche. Regensberg Verlag, Münster 1989
4.) Euthymia-Jahresbrief „Kraftquelle“ 2020 (als pdf-Download hier, klick!)
Übrigens
Wer aufmerksam durch Münster radelt oder flaniert, wird früher oder später auf große und kleine Aufkleber an allen möglichen und unmöglichen Orten stoßen, sie zeigen ein ungleiches Augenpaar, ein Auge hat einen leicht schrägen Silberblick und das Lid hängt – es sind die Augen Schwester Maria Euthymias. Wer diese Aufkleber hergestellt hat und wer sie in der Stadt verteilt? Ich weiß es nicht. Und auch im Euthymiazentrum an der Loerstraße wusste die Leiterin, Schwester M. Elisabethis Lenfers, bei unserem letzten Gespräch nichts über die Identität und die Absicht der unbekannten Person.
Habt ihr vielleicht Geheimwissen, das ihr mit mir teilen würdet?
Ich bin gespannt!
Eure Türmerin von Münster.
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