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Überraschung, dein Name sei: Rümpelfix!

Ich stöbere gerne in Trödelläden, in Münster gibt es ja einige schöne Locations und Gelegenheiten. Eine davon heißt Rümpelfix und war just in den hiesigen Schlagzeilen, weil in einem Sammelsurium einer Haushaltsauflösung ein verschollenes Holzrelief des Künstlers Aloys Röhr auftauchte – diese wurde als Kostbarkeit erkannt und direkt dem Stadtmuseum übergeben.

Das Holzrelief ist eine Engel mit türmerhornähnlicher Posaune, ein beliebtes Motiv – auch in der Türmerstube hängt eine derartige Bronzetafel. Der wiederaufgetauchte hölzerne Engel trägt die Signatur A. Röhr, mein bronzener Engel ist leider ohne jeden Urheberhinweis – ob auch er einen berühmten Erschaffer hat?

Nach dem spektakulären Kunstfund bei Rümpelfix schaue ich unwillkürlich noch genauer hin, was für potentielle Schätzchen in den Trödelläden zu entdecken sind.

Und wie es die typische Münstergeschichte so will, habe ich auch eine Entdeckung zu berichten – eine für mich persönlich sehr kostbare, die ich gerne mit euch teilen möchte, verbunden mit einer Bitte am Ende meines Textes.

Die Schlagzeilen des Kunstfundes noch frisch im Kopfe stöberte ich wieder einmal bei Rümpelfix. Schöne Kerzenhalter, nostalgische Gesellschaftsspiele, eine Mandoline mit Perlmutt-Intarsien – alleine schon das Anschauen ist eine Inspirationsquelle, und manchmal greift man auch zu; so geschah es mir beim Anblick von Postkarten mit starken Farben, auf einer war eine schwungvoll gemalte musizierende Frau, auf einer anderen Häuser und ein Minarett (auch der Muezzin ist ja ein entfernter Verwandter des Türmers!), und auf der dritten, die mich anlachte, waren die Aaseekugeln zu sehen.

Die Aaseekugeln, mittlerweile ein Wahrzeichen Münsters, in ungewöhnlicher farbenfroher Ansicht. Hübsch! dachte ich noch so bei mir und schaute auf die Rückseite: Der Künstler hieß offenbar Şadi Üçüncü (gesprochen etwa: Schadi Ütschündschü). Diesen nicht ganz westfälisch klingenden Namen wollte ich später in diesem Internet, von dem alle sprechen, suchen.

Und diese Suche ergab folgendes:

Şadi Üçüncü – so hieß es – sei entweder 1945 oder 1948 in der Türkei geboren (da widersprechen sich die Quellen), ein diplomierter Betriebswirt, um 1974 zum Promovieren nach Deutschland gekommen, unterbrochen wegen des Militärdienstes in der Türkei, 1981 konnte er sich dann ein wohlverdienstes „Dr. rer. pol.“ vor den wenig westfälischen Namen schreiben.

Interessante Erkenntnis:

Şadi Üçüncü hat schon während des Studiums gemalt und gedichtet – und einige Werke auch selbst veröffenlicht. Zur Wahlheimat geworden ist ihm (keine Überraschung): Münster!

Leider starb Şadi Üçüncü bereits 2004 an Krebs.

Neugierig nach seinen schriftlichen Werken bin ich in der Stadtbücherei fündig geworden: „Über die Stellung der Frau in der türkischen Gesellschaft“ und zwei Gedichtbände sind dort im Magazin auf Anfrage ausleihbar.

Freund, gib mir deine Hand. Gedichte aus der Fremde.
Cis-Verlag Altenberge 1986.

und

Fremde in mir. Gedichte.
Verlag Die Blaue Eule, Band 16, Essen 1988

Leider nicht in unserer Stadtbücherei vorhanden ist „Gedichte für Frieden“ – aber weil Münster in diesem Jahr 2018 auf ganz besonderer Frieden-Suche ist (Motto des Katholikentages 2018: Suche Frieden, Klick!), habe ich gesucht und gefunden:

Kein Patent auf Frieden – aber dafür ein passendes Şadi Üçüncü-Gedicht:


WO BIST DU
Frieden
wo bist du
von Nicaragua
bis Namibia
von Südafrika
bis Afghanistan
such ich
dich
überall
wo bist du
alle Ecken
und Winkel
durchsuchend
laufe ich
hinter dir
unermüdend
Frieden
wo bist du
um jeden Preis
bin ich
auf der Suche
mit der Hoffnung
dich
zu finden
Frieden
wo bist du
meine Freiheit
und
mich
haben sie
schon
ausgeraubt
wo bist du

(Aus: Freund, gib mir deine Hand 1986)


Ich bin begeistert! Auch seine anderen Gedichte gefallen mir ausgesprochen gut, viele sind herzzerreißend traurig, handeln vom Gefühl der Einsamkeit, von der Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Wärme, nach einem Zuhause, berührend.

Durch einfaches Stöbern, mit ein paar Postkarten zu einem Namen, zu einem Menschen, zu Gedichten, zu einer interessanten Münstergeschichte –

Überraschung, dein Name sei: Rümpelfix! (Klick!)

Es heißt, Şadi Üçüncü habe sich in Münster sehr für die Kultur eingesetzt, Frieden, Migration, Liebe, das waren seine Themen; ich schließe ab mit einer Bitte:

Ist unter meiner geschätzten Leser*innenschaft jemand im Besitz des Bandes „Gedichte für Frieden“? Kannte jemand Şadi Üçüncü persönlich? Oder kennt jemanden, der jemanden kennt, die jemanden kennt, deren Nachbarin einmal jemanden kannte, dessen Onkel jemanden …?

Bitte meldet euch bei mir – per Kontaktformular (siehe oben rechts) oder E-Post an Salje(ätt)stadt-muenster(Punkt)de.

Danke! 🙂

4 Kommentare

  1. Hannes Demming

    Liebe Martje, danke für diese schöne Sonntagmorgenlektüre mit einem so interessanten und auch nachdenklich stimmenden Inhalt. Darf ich eines meiner kürzesten lateinischen Chronogramme für 2018 hinzusetzen? PAX DESIDERIVM ORBIS (10 + 2007 + 1). Ich wünsche einen geruhsamen, friedlichen Münstersonntag. Hannes

  2. manchmal_Lyrik Wolfgang Weiland

    danke fürs schreiben…

  3. Birgit Fischer

    Hallo, ich habe ihn seinerzeit getroffen und eine Postkarte mit seinem Bild (…licht mit Halbmond) und persönlicher Widmung erstanden. Leider ist die Begegnung so lange her, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Die Postkarte ist mir heute wieder in die Hände gefallen und beim googeln bin ich auf diesen Artikel gestoßen. Vielen Dank dafür.

    • Türmerin

      Liebe Birgit Fischer, Kreise schließen sich, und irgendwie kommt man früher oder später immer zur St. Lambertikirche (oder diesem Blog, das ich in der Turmstube schreibe) 🙂 Herzliche Grüße! Die Türmerin von Münster.

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