Eine richtig tolle Quelle über Münsters illustre Einwohner*innen sind sogenannte Häuserbücher – und ebensolche sind meine Turmstubenbücher im Januar 2019!
Wer keine Turmstube hat und sich die dicken Schinken auch nicht ins Haus stellen möchte, nennt die Stadtbücherei Münster einfach sein zweites Wohnzimmer – da stehen sie nämlich alle bereit, im Regal „Westfalen“ – Klick zur StaBüMS!

Thema meiner Recherche: Tuten natürlich! Auf den Spuren meiner Vorgänger…

Auch in Münster hat es höchstwahrscheinlich eine Zeit gegeben, da waren sogenannte Stadtpfeifer zuständig sowohl für das Signalblasen der Stadtwache, unter anderem auf St. Lamberti, und auch für die Gestaltung der städtischen Musik, z.B. bei hohem Besuch von Staatsgästen.

Stadtpfeifer
Quelle: kimballtrombone.com


Die kulturelle und politische Bedeutung Münsters im Mittelalter lässt vermuten, dass auch das musikalische Leben blühte. Leider fehlt es hier an wissenschaftlich stichhaltigen Nachweisen; Instrumente und Noten sind mit weiteren Dokumenten über Musikpraxis und Musikschaffende etc. unter anderem in der „Wieder-“Täuferzeit im allgemeinen Bildersturmwahnsinn vernichtet worden… Jedoch:

Der Zeitzeuge und spätere Chronist der Täuferzeit, Kerssenbrock, schreibt:

Hierauf plünderten sie das bischöfliche Schloß, zertraten das darinn gefundene Wapen (…), zerbrachen die Flöten, Cythern, Geigen, Leiern und andere musikalische Werkzeuge (…)

(Quelle: Geschichte der Wiedertäufer zu Westphalen. Nebst einer Beschreibung der Hauptstadt dieses Landes. Aus einer lateinischen Handschrift Hermann von Kerssenbroick [von 1568] übersetzt. Mit Kupfern. Auf Kosten des Uebersetzers. 1771, S. 524)

Über Verfasser und Lehrende der Musik, also Musiktheoretiker, liegen allerdings mehr Hinweise vor als über die Ausführenden, z.B. im Zusammenhang mit der Domschule, deren Gründung ins 8. Jahrhundert fällt und die ab dem 16. Jahrhundert von Jesuiten geleitet worden ist.
Die Dommusik dürfte auch lange das Zentrum des Musiklebens der Domstadt Münster gewesen sein.
Weitere bedeutende Musikmeilensteine sind die Gründung der Münsterischen Hofmusikkapelle durch Fürstbischof Maximilian Heinrich im Jahr 1685 und die Gründung des Münsterischen Musikvereins, hier ein wichtiger Name: Prof. Dr. Julius Otto Grimm, ein Freund des Komponisten Johannes Brahms.

Johannes Brahms
Johannes Brahms, Gemälde von Ludwig Michalek, 1881 – Quelle: klassika.info

Johannes Brahm indes war auch zu Konzerten in Münster – und dabei muss er (Ende des 19. Jahrhunderts) den Abbruch und Neubau des Turmes von St. Lamberti gesehen haben; nur hat er leider nichts Schriftliches darüber hinterlassen, schade!

Vom Hölzken aufs Stöcksken und wieder zurück in die Zeit, in der sich mutmaßlich Spielleute und Türmer auf dem alten Turm aufhielten:

Nur Spielleute, die die offizielle Spielmannsagraffe der Stadt trugen (=eine Schmuck-Schließe, um Kleidungsstücke zusammenzuhalten), durften öffentlich Musik machen, und auch die Zeiträume waren meistens genau festgelegt – wir kennen das heute von der Straßenmusik, nach 30 Minuten müssen die Musikschaffenden ihren Platz räumen und ziehen ein, zwei Eckchen weiter.

Fun-Fact: Im Stadtarchiv Münster ist eine Spielmannsagraffe aus dem Jahr 1606 erhalten. Nach diesem Vorbild wurde 2007 ein ganz besonderer Karnevalsorden angefertigt – zum 175. Jubiläum der Karnevalsgesellschaft Freudenthal, der ältesten in Münster. Zwei Löwen umfassen das städtische Wappen, ein Symbol der Verbundenheit von Stadt und KG Freudenthal.

So dürftig die Quellenlage auch ist, in der Frühen Neuzeit finden sich Nachweise über Türmer und Spielleute dort, wo man vielleicht nicht als Erstes sucht, z.B. in den Häuserbüchern der Stadt, in denen Einwohner mit ihren Berufen verzeichnet waren.

Familie Heuman(n)…

So erfahren wir, dass über Generationen eine Familie Heuman(n) die Türmer und Stadtmusikanten stellte.

In den „Häuserbüchern der Stadt Münster“ sind als Einwohner zu einer bestimmten Zeit erwähnt:

1661/65
„Henrich Heuman, Turmbläser und Turmwächter“, wohnhaft in der
Salzstraße 61
1671
„Wwe. Henrich Hoyman (Heuman), deren Mann Turmhüter gewesen ist“,
wohnhaft in der Salzstraße 58
1676
„Johan Heuman, Lhur auffm Thurn“, wohnhaft: Hölzernes Wams 

Für die Quiz-Freaks:

Die im 14./15. Jahrhundert als ‚Schomecker-Riege‘, im 16. Jahrhundert als ‚Basse‘ oder ‚an der Basse‘, zuletzt als ‚Hölzernes Wams‘ bezeichnete Häuserreihe war eine Holzhausreihe um die St. Lambertikirche herum. 1773-1778 waren die baufälligen Häuser abgebrochen worden.

Quelle: Max Geisberg, Die Stadt Münster (Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, 41), 3. Teil, Münster 1934, S. 341f.

Nach Abbruch der Häuserzeile „Hölzernes Wams“ scheint Familie Johan(n) Heuman(n) umgezogen zu sein:

1680
„Johan Heuman, Turmbläser“, wohnhaft in der Salzstraße 61
1688-1696
„Jacob Heuman, Turmbläser“, wohnhaft im Alten Steinweg 3
1711
„Heuman, Turmbläser“, im Alten Steinweg 6
1730-1737
„Heuman (Herman), Turmbläser“ am Alten Fischmarkt 9
1738-46 „Heuman,
Turmbläser, Trompeter“, am Drubbel 19
Alle Angaben sind übernommen aus den „Häuserbüchern der Stadt Münster“ (Aschendorff Verlag, Münster): Sabine Jarnot, „Die Salzstraße“. 2001, und: Ralf Klötzer, „Drubbel, Roggenmarkt, Alter Fischmarkt“. 2009, und: Ralf Klötzer, „Alter Steinweg“. 2010.

Von Walter Werland („Münster – so wie es war“, Droste Verlag, Düsseldorf 1970) wissen wir auch, dass „Johann Heumann“ als „Stadtmusikus, gest. 1702“ bekannt ist, und „Johann Jacob Heumann zugleich Kapellmeister“ war.

Aus den erhaltenen Dokumenten kann man weiterhin rekonstruieren, dass der Stadtrat nach dem Tod des Türmers Johan(n) Heuman(n) 1702 seinem Sohn (Johann) Jacob den offiziellen Auftrag gab, nach Beendigung seines Musikstudiums die Nachfolge des Vaters anzutreten. Aber auch während der Zeit des Studiums, bis zur erfolgreich abgeschlossenen Prüfung, blieb der Turm nicht unbewacht:

Türmer Wilm Neukerk, zuerst Kollege des Vaters Johan(n) Heuman(n), führte nach dessen Tod den Türmerdienst ganz gewissenhaft weiter aus, und war später gemeinsam mit dem jungen (Johann) Jacob Heuman(n) auf dem Turm tätig.

Wilm Neukerk begann seinen Dienst übrigens im Jahr 1698 und blieb bis 1738 auf dem Turm – vierzig Jahre lang!

In meinem 40jährigen Dienstjubiläum 2054 wäre ich
… grübel …
73 Jahre alt.
Challenge akzeptiert! 😉

Türmerin
Foto: www.rocknklick.de, Andreas Völker