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Rosa Gelassenheit im Münsterland oder: Von Schwester Euthymia zum Flamingo (& Turmstubenbuch Januar 2021)

In diesem Blogartikel feiere ich die rosafarbene Gelassenheit.

Inmitten dieser schlimmen Pandemiezeit braucht es individuelle Zeichen der Hoffnung; mir hilft das verlässliche Tuten, dieses münsterische akustische Symbol von aktiv gelebter Tradition, die abendlichen Friedenssignale (Kein Feuer! Kein Feind!), die ritualisierte Turmzeit seit 1383.
Ich fahre mit der Leeze zum Turm, zähle die Stufen bis zur Türmerstube (300) und gebe allabendlich (außer dienstags) das von Zahlenmystik begleitete Hornsignal (Tuten) in die vorgegebenen Richtungen. Geradezu meditativ.
Was hat es jetzt mit der rosafarbenen Gelassenheit auf sich? Das erkläre ich im Folgenden…

Im Februar werden sie aus ihrem niederländischen Küstenwinterdomizil zurückerwartet im Münsterland: Die Flamingos des Zwillbrocker Venns. In Vreden nahe der niederländischen Grenze, fühlen sich die wunderschönen rosa Vögel seit den 1980er Jahren sehr wohl. 
Ich finde das sehr erstaunlich und freue mich über diese Tatsache, denn gleichzeitig notiere ich auf meiner Après-Corona-Liste: Ausflug zu den Flamingos im Zwillbrocker Venn! Nach Corona, denn wenn schon Ausflug, dann am liebsten mit Führung und anderen Menschen.

Mehr zu den exotischen Langbeinern findet ihr hier:

Biologische Station Zwillbrock

NRW Tourismus, Naturschutzgebiet Zwillbrocker Venn

Fahrradtour auf der Flamingoroute


Und wer sich jetzt – zu Recht – fragt, wie zum Geier ich auf den Flamingo komme, dem antworte ich:
Durch Schwester Euthymia natürlich!

Von Schwester Euthymia
zum Flamingo

Über Euthymia habe ich schon einige Male geschrieben, zum Beispiel hier (Klick!) oder hier (Klick!). Kurzfassung für Neu-Leser*innen: 

Schwester Euthymia wurde am 7. Oktober 2001 in Rom seliggesprochen, sie gilt in Münster und im Münsterland bis heute (oder heute mehr denn je?) als große Inspirationskraft in widrigen Zeiten. Ihre Grabstätte auf dem Münsteraner Zentralfriedhof ist eine Kapelle und Pilgerstätte, ein ihr gewidmetes Zentrum mit Anbetungsraum und sehr eindrucksvoll gestalteter Dokumentation über ihr Leben und ihre Zeit befindet sich in der Innenstadt (Klick!), geleitet von den Clemensschwestern, denen Euthymia angehörte.

Bei ihrem frühen Tod durch Krebs im Jahre 1955 war sie erst 41 Jahre alt. In den Jahren zuvor schuftete sie ausdauernd und wie Zeitzeugen berichten stets völlig selbstlos und extrem großherzig in der Wäscherei des Krankenhauses (Raphaelsklinik) und des Mutterhauses der Clemensschwestern. Dabei war sie eigentlich ausgebildete Krankenschwester – als solche wurde sie auch „Engel der Liebe“ genannt, da arbeitete sie während des Zweiten Weltkrieges in der sogenannten St.-Barbara-Baracke des St. Vinzenz-Krankenhauses in Dinslaken. Hier, auf der Isolierstation, kümmerte sie sich vor allem um hochansteckende Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter mit Typhus, Krätze und anderen schrecklichen Krankheiten – bis das Spital bombardiert worden ist und sie vor Erschöpfung zusammenbrach. Aber beschwert oder beklagt hat sie sich offenbar nie. 

Sie hatte es niemals leicht, bereits als Kind litt Emma Üffing, wie ihr Geburtsname lautete, an Rachitis, ihre körperliche Entwicklung war verzögert, sie hatte Schmerzen beim Laufen und kämpfte sich durch die Ausbildung.

Ihr gutes Herz und ihre bescheidene, mitfühlende Art sind sehr eindrucksvoll z.B. von Emile Eche beschrieben worden, welcher Schwester Euthymia kennenlernte, weil er ein Kriegsgefangener, französischer Soldatenpriester, auf ihrer Station war („Ich diente und mein Lohn ist Frieden“, erhältlich gegen Spende im Euthymiazentrum, Klick!).

Jedes Jahr gibt das Euthymiazentrum in Münster den Euthymia-Jahresbrief heraus. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal herzlich für das Zusenden bei Schwester M. Elisabethis Lenfers bedanken! In diesem Jahr 2021 steht der Euthymia-Jahresbrief unter dem Motto:

Gelassenheit

(wo gibt es das kleine Büchlein? -> das steht auf der Seite der Clemensschwestern, Klick!)

Gelassenheit – hey! genau mein Thema, und wie interessant auch, die passenden und universal berührenden Texte und Gedanken zu lesen, die in diesem Jahresbrief verfasst sind:

„In dieser Kleinschrift wird uns Schwester M. Euthymia als Begleiterin durch diese neue, weltweite Herausforderung [Corona! Anmerkung von der Türmerin] an die Seite gestellt: Wie ist sie mit ihrer bereits im Kindesalter aufgetretenen Krankheit, ihren deutlichen Grenzen umgegangen? Wie mit den Dramen der schwerverletzten Gefangenen, den furchtbaren Bombentagen und -nächten, der völligen Zerstörung des Krankenhauses, ihrer Versetzung ins Waschhaus und später mit ihrer Krebserkrankung? Wie mit ihrem Sterben? Was kann sie uns heute sagen?“

Schwester Charlotte Schulze Bertelsbeck, Zum Geleit 2021, Euthymia-Jahresbrief 6, 2021, („GELASSENHEIT“)

Die ihr zugeschriebene Resilienz – innere Widerstandsfähigkeit – wird in ihren handschriftlichen Zeugnissen und den Berichten von Zeitzeug*innen deutlich. Trotz der zahlreichen Schicksalsschläge und biografischen Schwierigkeiten wird sie beschrieben als stets hilfsbereit, freundlich, empathisch und offenbar mit einer inneren Kraftquelle ausgestattet.

Im Euthymia-Jahresbrief heißt es:

„Gelassenheit ist nicht nur innere seelische Ausgeglichenheit… Das Corona-Virus ist ein Übungsfeld in Gelassenheit. Corona fragt nicht, ob ich Veränderung will. Ich muss mich vielmehr auf die veränderten Bedingungen einstellen…“

a.a.o.

So gesehen kann Schwester Euthymia eine Inspiration auch für heutige Fragestellungen sein – ein zeitloses Beispiel für Gelassenheit.

Gelassenheit ist wiederum auch, so ist meine persönliche Überzeugung, der zweite Vorname des Flamingos. Wäre ich esoterisch veranlagt, hätte ich gern den Flamingo als mein Krafttier. Aber auch völlig ohne jeden Schwurbel scheint dieses Tier bemerkenswert mit sich selbst im Reinen, die personifizierte Gelassenheit, Ruhe, Gleichgewicht. Die Rosaflamingos stehen im Zwillbrocker Venn herum, es ist die weltweit nördlichste Flamingo-Kolonie, sie brüten dort, staksen ein wenig hin und her, stehen sehr pittoresk und selbstsicher auf einem Bein, sind wunderschön anzuschauen, und wenn es an der Zeit ist, dann jammern sie nicht herum, sondern packen ihre 7 Sachen (oder wie viel Rosaflamingos eben so haben) und fliegen ins Rhein-Maas-Delta, ihr Winterquartier in den Niederlanden. Und dann kehren sie wieder ins Münsterland zurück. Verlässliche Frühlingsboten. Verlässlich wie das Tuten von St. Lamberti.


Könnt ihr meine Assoziation von rosa Gelassenheit der Flamingos und Inspiration durch Schwester Euthymia nachvollziehen?
Wart ihr schon mal bei den Rosaflamingos im Zwillbrocker Venn?
Schreibt mir gerne eine Nachricht, ich freu mich 🙂


Das Turmstubenbuch
des Monats Januar
ist übrigens:

Euthymia. Eine Frau bringt Licht in dunkle Tage. Von Hugo Goeke (Jahrgang 1932, vor seinem Ruhestand Rektor der Anbetungskirche St. Servatii in Münster). Erschienen bei Burtzon&Bercker (Anbieter für religiöse Bücher und Geschenke) im September 2020. (Auch bei Thalia per click&collect erhältlich, Klick!)


Eure Türmerin von Münster.

8 Kommentare

  1. Hannes Demming

    Mitten in der Nacht eine schöne Lektüre. Danke, liebe Türmerin. Euthymia kommt aus Breischen bei Hopsten, derselben kleinen Bauerschaft, aus der auch mein geistlicher Freund Heinz Withake stammt, dessen Urne wir am Montag „up Zentraal“ in die münstersche Erde gegeben haben.

    • Türmerin

      Ich las auf den Seiten des Bistums Münster, dass Heinz Withake auch Gottesdienste in niederdeutscher Sprache gefeiert hatte. Das nehme ich mit als positiven Input zur Traditionsbewahrung und verbleibe mit empathischem Gruß
      Ihre Türmerin von Münster

  2. Guido Landau

    Wow Martje ich bin begeistert! Hab grad die Sendung über Münster beim WDR geguckt und danach auf deine spannende Seite hier gestoßen!
    Toll das du die alte Tradition fortsetzt! Weiter so 🙂
    Grüße Guido

    • Türmerin

      Hallo Guido – vielen Dank für das positive Echo! Freut mich sehr!
      alles Gute wünscht
      Die Türmerin von Münster

  3. Wiebke Heide

    Liebe Türmerin Martje,
    ich habe gerade einen Fernsehbericht über Dich gesehen und bin gleich auf Deine wirklich gute Seite gegangen. Du hast sie sehr gut gestaltet. Sie ist schön übersichtlich, umfangreich und Deine Texte sind verständlich formuliert. Ich finde leichte Sprache wichtig, weil viele Menschen aufhören zu lesen, wenn Sätze zu lang oder umständlich formuliert sind.
    Deinen Stolz auf Deine Tätigkeit verstehe ich sehr gut. Tradition erdet und Stadtgeschichte ist so interessant. So, wie Du aus Deiner Stadt berichtest, macht es Spaß, sich damit zu beschäftigen. Mach weiter so. Ich lese bestimmt mal wieder rein.
    Herzliche Grüße von der Flensburger Förde und bleib gesund!

    • Türmerin

      Herzlichen Dank und Friedensgrüße an die Flensburger Förde! Ich freue mich sehr über die positiven Worte und wünsche ebenfalls alles Gute 😀
      Die Türmerin von Münster

  4. Anna Karthäuser-Tietz

    Liebe Türmerin Martje,
    Danke für die schöne anregende Seite (Blog). Ich(71) hatte mir im WDR die Sendung über Münster angeschaut, weil mein Vater, der schon 1994 starb, dort einmal studiert hatte und uns (Kindern) von dieser schönen Stadt erzählt hat. Ich weiß aber nicht, ob er sie vor der Bombardierung im 2. Weltkrieg kennengelernt hat, aber das ist anzunehmen. Schon lange will ich Münster mal etwas ausführlicher anschauen und – nach Corona – dorthin reisen.
    Ihnen alles Liebe und Gelassenheit!
    A. K.-T.

    • Türmerin

      Ich würde mich freuen, wenn Sie sich im Falle Ihres Münsterbesuches nach Corona noch einmal bei mir melden, vielleicht kann ich Sie noch bei Besichtigungen und Tipps unterstützen!
      Beste Grüße direkt aus der Türmerstube,
      Ihre Türmerin von Münster

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