Da die Karnevalszeit wieder direkt vor der Tür steht, anklopft und endlich reingelassen werden will, habe ich etwas besonders Schönes für Freundinnen und Freunde der unterhaltsamen Geschichte – sprich: Historytainment! – vorbereitet!
Wir folgen dem Anfang der Rosenmontagsumzüge in Münster und klären, welcher Karnevalist es bis ganz nach oben geschafft hat (auf den Turm von St. Lamberti) und wer zwischendurch noch fröhlich sang…
Ganz Münster ist ein Freudenthal
Im Münsterischen Anzeiger aus dem Jahre 1932 lesen wir in Frakturschrift, hier für euch von mir transkribiert wiedergegeben:
„Im Jahre 1833 wurde die älteste der jetzigen Karnevals-Gesellschaften ‚Freudenthal‘ gegründet, die in ihrem fast hundertjährigen Bestehen viele namhafte Karnevalisten hervorgebracht hat.
Auch der kaufmännische Verein ‚Union‘ pflegte unter dem Namen ‚Noinu-Feldlager‘ zur Fastnachtszeit und vorher sehr gut besuchte humoristische Sitzungen zu veranstalten.
Der erste größere Rosenmontagszug fand im Jahre 1896 statt..
Diesem ersten, glücklich verlaufenen Versuche folgten noch manche andere, die stets als gelungen zu bezeichnen sind und sehr viele Schaulustige von nah und fern nach Münster zogen, bis der unglückliche Krieg von 1914 diesen Umzügen ein Ende setzte.“
Neubau von St. Lamberti
1896, beim allerersten größeren Rosenmontagsumzug in Münster, war der Turm von St. Lamberti noch nicht ganz fertig – erst zwei Jahre später! Zu diesem Zeitpunkt harrte der damalige Türmer Joseph Sirleke genannt Buschkötter noch im St. Martini-Turm aus, bis der spitze neue Turm von St. Lamberti endlich seine Kreuzblume bekam. Der Sandstein war zunächst noch sehr hell – nicht so dunkel, wie wir St. Lamberti heute kennen:

Ständchen für Lehrer und Backfische
Weiter erfahren wir im Münsterischen Anzeiger von 1932, welche Brauchtümer und Rituale rund um Karneval zu dieser frühen Zeit der Jahrhundertwende so beliebt waren:
„Im Anfange des vorigen Jahrhunderts und auch schon früher zogen maskierte Pennäler [Gymnasiasten, Anm. d. Türmerin] am Fastnachtsdienstag nachmittags durch die Straßen, mißbeliebigen Lehrern, aber auch geliebten Backfischen [altes Wort für jugendliche Mädchen, Anm. d. Türmerin], Ständchen zu bringen. Die Tracht oder Maskierung war immer dieselbe: Schlafrock mit Zipfelmütze und lange Pfeife. – Ein an der Aabrücke des Bispinghofes eingemauertes Steinkreuz soll die Stelle bezeichnen, an der vor vielleicht mehr als 200 Jahren ein unbeliebter Lehrer durch Unglück von Schülern Fastnacht erschlagen worden ist.“

Mordkreuz
Henning Stoffers hat diese Version übrigens aufgrund seiner Recherchen infrage gestellt. Er schreibt zum „Mordkreuz“ folgendes:
„Das Kreuz erinnert an ein Verbrechen auf dieser Brücke, das Mitte des 17. Jahrhunderts begangen worden sein soll. Demnach hätte ein Student seinen Professor erstochen. Diese Version kursierte lange, sie ist jedoch unrichtig.
Henning Stoffers, Bildgeschichten… (Klick!)
Tatsächlich gab es im Jahre 1813 einen Streit zwischen drei französischen Offizieren und einem jungen Deutschen, der auf der Brücke von einem Degenstich tödlich verletzt wurde. Der Großvater des Opfers ließ zum Gedenken ein zweites kleines Kreuz im Sockel des Grenzsteines einmeißeln.“
Mordgeschichten und Küsse
Zurück aber zu den Gepflogenheiten der Karnevalszeit in früheren Jahren, zurück zum Münsterischen Anzeiger 1932:
„Oefter taten sich lustige Karnevalsbrüder zusammen und zogen mit einer Mordgeschichte, Drehorgel usw. in die Wohnungen von Verwandten und Bekannten… und von verehrten jungen Damen! Dort gab es dann, nachdem die Mordgeschichte vorgetragen war, Kaffee, Kuchen oder Wein. Auch fiel im Gedränge, hinter einer Tür oder im Treppenhaus auch wohl einmal ein Küßchen für den Liebsten oder Kühnsten ab. Während der Dämmerung war das Abküssen der holden Weiblichkeit seitens der Maskierten, besonders unter dem Bogen gang und gäbe. …
Nach dem Kriege [gemeint ist der Erste Weltkrieg, 1914-1918, Anm. d. Türmerin] zog sich das Fastnachtstreiben mehr zu den großen Sälen des Schützenhofes und der Halle Münsterland hin… Die so beliebten karnevalistischen Frühschoppen-Konzerte im Zentralhof, Café Roxel und Kaiserhof haben immer ein vergnügtes Fastnachtspublikum angezogen, heute finden karnevalistische Frühschoppenkonzerte fast in allen größeren Lokalen statt; abends sind dann Maskenbälle und sonstige karnevalistische Verlustigungen und Unterhaltungen mit Musik.“
Und weiter erfahren wir:
„Mehrere Versuche nach dem Kriege, den Rosenmontagszug in Münster wieder aufleben zu lassen, scheiterten, bis in diesem Jahre [1932!] die Behördliche Erlaubnis für einen Rosenmontagszug erteilt wurde. Die Vorbereitungen dafür sind in vollem Gange…“
Pinkus I.
Und wer war 1932 der Prinz Karneval? Kein Geringerer als Pinkus, der Erste! Und zwar schon zum dritten Mal in Folge! Wie aus Carl Müller der einzigartige Gastwirt, Tenorsänger und Träger des Spitznamens Pinkus wurde, könnt ihr ebenfalls bei Henning Stoffers nachlesen: Henning Stoffers, Bildgeschichten… (Klick)
Prinz Pinkus I. jedenfalls war Mitglied der Karnevalsgesellschaft „Freudenthal“ und sang mit seiner schönen Tenorstimme auf vielen Veranstaltungen. Hier eine Zeitungsannonce von 1932:

Franz Beiske
Und in eben jenem Jahr 1932, von dem ich berichte, mitten in der schönen geselligen Karnevalszeit, gab es die Uraufführung eines niederdeutschen Theaterstücks, geschrieben von Franz Beiske. Doch um diese Umstände so richtig würdigen zu können, möchte ich ein wenig ausholen und euch abermals mitnehmen in meine Recherchen:
Der als Heimatschriftsteller bekannt gewordene Franz Beiske wurde am 25. Mai 1906 in Walstedde (Drensteinfurt) geboren, aufgewachsen ist er in Münster-Gremmendorf. Er war gelernter Bühnenbauer und Anstreichermeister.
1932 also war er bereits seit vielen Jahren aktiv beteiligt bei den Laienschauspielern der niederdeutschen Theatertruppe aus seiner Heimat Gremmendorf, schrieb schon während seiner Jugendzeit plattdeutsche Gedichte, die er auch öffentlich vortrug. Seine Familie hatte eine auf Milchvieh ausgerichtete Landwirtschaft, aber daran hatte Franz Beiske kein Interesse, seine Lehre machte er bezeichnenderweise bei einem Kirchen- und Bühnenmaler. Später schrieb er dann das sehr erfolgreiche Stück namens „De Pängelanton“ (1932!), das mitten in der Karnevalszeit uraufgeführt wurde – daraus ergab sich die Gründung der gleichnamigen Karnevalsgesellschaft „Pängelanton“, die bis heute besteht.
Mit „Pängelanton“ wurden mundartlich die Dampflokzüge der Westfälischen Landes-Eisenbahn bezeichnet. „Pängeln“ heißt soviel wie „bimmeln“ – das Geräusch, das die Dampflok bei jedem Bahnübergang machte, um die Durchfahrt zu verkünden.
Die lustigen Aufführungen der Gremmendorfer Niederdeutschen Bühne wurden leider wie alles andere durch den Zweiten Weltkrieg vorübergehend beendet; doch schon 1951 schaffte es Franz Beiske, einige seiner ehemaligen Laienspielkollegen zu motivieren, weiterzumachen, und er schrieb neue Theaterstücke, verkörperte unter Anderem den Kiepenkerl und den Tollen Bomberg – echte Münstersche Originale, wie auch er selbst dann eines werden wollte:

Beiske war 52 Jahre alt, als er Türmer wurde. Leider war er gesundheitlich nicht in der Lage, diesen schönen Beruf für längere Zeit auszuüben – jedenfalls begann er am 1. Mai 1958 als Türmer und bereits im Februar 1960 musste Vorgänger Karl Greuling (mehr zu Karl hier, Klick!) übergangsweise wieder das Horn übernehmen, bis am 1. Oktober 1960 Roland Mehring (mehr zu Roland hier, Klick!) für die nächsten 34 Jahre auf dem Lambertikirchturm beschäftigt war.
Franz Beiske, der Zeit seines Lebens Traditionen gelebt und Brauchtum gepflegt hat, verstarb mit nur 54 Jahren am 25. Juni 1960.
Auf dem Sterbebett im St. Franziskushospital soll er zum Pfarrer gesagt haben: „No goh ick nich aff und wenn, dann sinn hier in Huse so viell Lü, de mi de Hufiesen affrieten künnt“, so steht es in einem Memorandum seiner Karnevalsgesellschaft aus den 1980er Jahren.
Seinen besonderen Humor hat er sich also bis ganz zum Schluss bewahrt.

Und so gedenke ich jedes Jahr in der Karnevalszeit meines Vorgängers Franz und stelle mir vor, wie er hier oben in der Turmstube gesessen und seine Erlebnisse Revue passieren gelassen hat.
Ich wünsche allen, denen das Brauchtum Karneval etwas bedeutet, eine gute Zeit! Munter bleiben!
Eure Türmerin von Münster.

Weiterführende Quellen:
Recherche Online zu Zeitungen wie dem Münsterschen Anzeiger, Klick!
Zur Geschichte der Karnevalsgesellschaft Freudenthal geht’s hier: Klick!
Zum Bürgerausschuss Münsterschen Karneval geht’s hier: Klick!



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