Es donnert gewaltig, es blitzt, es kracht, Rauch und Qualm steigen auf, die Menschen versuchen hektisch, mit Wassereimern das Gröbste zu löschen – doch ein warnendes Alarmsignal vom Turm von St. Lamberti bleibt aus.

Was ist passiert? Wieso tutet die Türmerin nicht das Alarmsignal?

Ganz einfach: Das beschriebene Unglück fand am Dienstag statt, am einzigen freien Tag der Türmerin von Münster. Doch bevor jetzt eilig Petitionen für eine 7-Tage-Woche des Städtischen Türmerwesens gezeichnet werden, so haltet ein, werte Leser*innen:

Ich sah das Unwetter zwar nicht vom Turm,
aber es handelte sich um Shakespeare’s DER STURM!

Bühne im Hafen

WBT: Der Sturm – Shakespeare mit schwimmender Bühne

 

Medienmenschen durften eine Vor-Premiere von DER STURM am Wolfgang-Borchert-Theater erleben, und ich war dabei. Ihr habt es vielleicht schon gesehen: eine schwimmende Bühne, an Land auf der Wasserseite des WBT eine Tribüne mit 430 Plätzen, das sieht nach einem Theatererlebnis der besonderen Art aus – und genau so ist es.

Großen Respekt an alle Schauspieler*innen – die meisten von ihnen haben eine Wasserszene und/oder eine sehr leicht bekleidete Szene im Skript stehen, und der Ablauf des Stückes (1 ¾ Stunden ohne Pause) nimmt dabei absolut keine Rücksicht auf das Wetter im „Real Life“, nur die Harten kommen in den Garten, oder auch: Obacht bei der Berufswahl… wirklich großes Tennis!

Stephano singt Shanties im Rettungsring

 


Menschen mit Theatererfahrung wissen: Shakespeare hatte einen Mann mit Tochter im Sinne, und bei der frühesten bekannten Aufführung 1611 war es sogar ein Mann, der die Tochter spielte (erst ab ca. 1660 gab es weibliche Schauspieler in den Londoner Theatern); indes bereits im Londoner Globe Theatre (dem Nachbau) spielte den Prospero eine Frau (Vanessa Redgrave, 2000), dabei androgyn angelegt, und im Wolfgang-Borchert-Theater nun gibt es die wunderbare Schauspielerin Monika Hess-Zanger, und natürlich ist sie eine großartige Prospera, die mit ihrer Tochter Miranda (Rosana Cleve) von ihrem intriganten Bruder Antonio (Bernd Reheuser) auf die Insel verbannt wird. Der Luftgeist Ariel ist hier ebenfalls weiblich (gespielt von Jannike Schubert) und braust mit dem Jetski in und aus den Szenen, der als Sklave gehaltene Caliban wird zwar von Tatjana Poloczek gespielt, im Stück aber (wie im Original) am häufigsten als „es“, das „Monster“, „Sklave“ oder auch „Mondkalb“ tituliert (kleine Irritation: soll die dunkle Farbe Schmutz darstellen oder ist das schon Blackfacing?).

Ariel

Ariel

Luftgeist Ariel

Ariel möchte endlich frei sein

Prospera zwischen Miranda und Ferdinand

Gibt Prospera dem Pärchen Miranda und Ferdinand ihren Segen?

 

Ansonsten hält sich das Skript und das Ensemble erfreulicherweise großteils an die Shakespeare’sche Fassung, wenn auch gekürzt und mit launig eingestreuten lokalen Perlen: 

Der Narr Trinculo: „Wenn ich nun in Münster wäre, wie ich einmal gewesen bin, so machte ich aus dem Fisch hier eine Skulptur…

Gonzalo (Peter Tabatt) versucht nach dem Schiffbruch, die Stimmung aufzuheitern, Alonso, der König von Neapel (Jürgen Lorenzen), sein Bruder Sebastian (Johannes Langer) und Antonio sind mehr oder weniger genervt und spinnen Intrigen über Herrschaft und Kolonisierung der Insel.

Die Freunde Trinculo (Markus J. Bachmann) und Stephano (Florian Bender) zicken, saufen und vertragen sich wieder und ziehen mit Caliban über die Insel.


Als Musikerin hätte ich mir noch viel mehr Musik, Tanz und Songs gewünscht, wie oft bei Shakespeare-Stücken; zwar erklingen einige Töne, Ariel versucht sich in „himmlischem Gesang“, einige Nymphen tanzen geheimnisvoll mit Masken, Caliban, Stephano und Trinculo gar zu Gitarrenrock (Choreographie: Emanuele Soavi & Lisa Kirsch)– insgesamt ist der Fokus hier aber mehr auf dem Darstellerischen und die Sounds dienen eher Untermalung von Stimmungen und Effekten (Musik und Sounds: Manfred Sasse).

Die Nymphen tanzen

Nymphentanz

Caliban tanzt mit Trinculo und Stephano

Trinculo und Stephano tanzen mit Caliban

Effekte sind auf der schwimmenden Bühne gar großartige zu sehen – Pyrotechnik, Scheinwerfergewitter, farbwechselnde LEDs auch im Wasser, Feuerwerk bei der obligatorischen Hochzeit von Miranda und Ferdinand, und – wie schon erwähnt – am genialsten aber ist der Mut der Schauspieler*innen, sich in das kalte Wasser zu stürzen, sowie auch immer wieder zwischendurch die Füße hineinzuhalten und zu planschen, als wäre es das Natürlichste von der Welt…

Der König von Neapel und Gonzalo

Der König von Neapel glaubt seinen Sohn beim Schiffbruch verloren zu haben

Wiedersehensszene

Großes Wiedersehen und Miranda und Ferdinand mittendrin

Feuerwerk

Feuerwerk zur Vermählung von Miranda und Ferdinand


Von der speziellen und IMHO sehr kurzweiligen Umsetzung der Handlung (Inszenierung: Meinhard Zanger, Bühne und Kostüme: Darko Petrovic, Lichtdesign: Andrej Kozlov, Dramaturgie: Tanja Weidner) möchte ich euch nicht zu viel verraten, schaut’s euch an – am 16. Juni 2018 ist die Premiere, bis zum September wird DER STURM im Hafenbecken vom Wolfgang Borchert Theater gespielt, unten steht der Link zum Karten reservieren, und dann erzählt mir beizeiten bitte mal, wie’s euch gefallen hat!

www.der-sturm-muenster.de