Ich erfülle zwei von drei Münsteraner „Todsünden“:
1. Ich bin evangelisch. Eijeijei…
2. Ich bin zugezogen. Uiuiui…
(3. wäre: Ich kann nicht Fahrrad fahren. Ha!)


Zu 1. -> ist gar nicht mehr so schlimm im Jahre 2018. Alles total ökumenisch hier. Und mein Hobby „Heiligen-Attribute und -Lebensgeschichten“ macht auch viel wett 😉

Zu 2. -> dafür hat Münster mich jetzt an der Backe. Hier gehe ich nie mehr weg. Und in ein paar Jahrzehnten spricht keiner mehr davon, dass ich einst aus dem Lande Weitweitweg hierher zog… oder? Außerdem besteht Münster doch heutztage sowieso zum großen Teil aus lauter irgendwann Zugezogenen oder Wiederhierhergezogenen 🙂 

Zu 3. -> Für jeden Tag der Woche steht eine andere Leeze in meinem Keller. „Übertrieben krass integriert“, sagt mein Kumpel dazu. 

In meiner neuen Heimat Münster, Westfalen, gibt es viel zu entdecken und kennenzulernen. Ein ganzes Leben reicht wahrscheinlich nicht aus, aber ich bin offen und neugierig und wissbegierig und freue mich über zwei neue Horizonterweiterungen in Form von Büchern in der Turmstube:

1. Marion Lohoff-Börger,
Mehr Massel als Brassel.
Endlich Masematte verstehen und einen toften Lenz hegen!
agenda Verlag, Münster 2018

und

2. Mouhanad Khorchide/Klaus von Stosch,
Der andere Prophet.
Jesus im Koran.
Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2018 

Horizonterweiterung also. Zum Beispiel lief mir ja schon häufig diese Masematte über den Weg (Hier: Klick! Und hier: Klick! Oder vor kurzem erst hier: Klick!). Und jetzt gibt es ein neues Buch, das sich diesem Spezial-Thema widmet, das nehme ich direkt mit hinauf in die Turmstubenbücherei! Herzlichen Dank an Michael Schneeberger – der agenda Verlag liegt ja tatsächlich nur einen Katzenwurf bzw. Steinsprung vom Lambertikirchturm entfernt, Foto-Beweis:

Wir halten auf diesem Beweisfoto auch das hier vorgestellte Werk in den Händen:

Der erste Eindruck: Total liebevoll und süß gestaltet, lauter Zeichnungen, gut lesbares Schriftbild, und zu jeder Geschichte gibts ein kleines Glossar der wichtigsten Masematte-Vokabeln und hinten einen alphabetischen Wörterbuchteil.

Beim Hineinschauen sehe ich die drei Täuferkörbe und lese direkt die dazugehörige Geschichte vom Opa Herbert, der seinem Nachbarn übern Gartenzaun von seiner Enkeltochter Paula erzählt, die gefragt hat:

“Muss der Gallach, der mich getauft hat, auch in den Vogelkäfig da oben? Bin ich inne richtige oder falsche Tiftel getauft?“

(Gallach=Pfarrer, Tiftel=Kirche)

Was mich direkt wieder zu Punkt 1 und Punkt 2
der Münsteraner „Todsünden“ (siehe oben) bringt: 

Ist man Münsteraner*in qua Geburt
oder
gibt es irgendwo die Münster-Taufe (mit Pinkus-Bier vielleicht?)
und danach ist man „richtig*e“ Münsteraner*in?
😉

Klasse, dieses Buch ist eine prima Ergänzung für mein Selbststudium der Münsteraner Eigenheiten – und mein Münster hat viele Facetten, sagt die Autorin im Vorwort:

Eins ihrer unbedingt erhaltenswerten Güter ist die untergegangene Geheimsprache Masematte. Der waschechte Münsteraner unterscheidet sich von allen anderen Menschen auf dieser Welt dadurch, dass er ein paar Masemattewörter kennt. Dazu gehören jovel und schofel, Leeze und Lowine, Koten, Kaline und Seegers… (…) Dieses Buch ist geschrieben worden, um der Masematte zu neuem Leben zu verhelfen. Die Leserschaft wird auf vergnügliche Weise mit einer frechen und rotzigen Sprache vertraut gemacht (…)

Ich bin auf die gesamte Lektüre sehr gespannt, denn offenbar ist die Vielfalt enorm: an die Bremer Stadtmusikanten wird ebenso erinnert wie an die Deportation von Juden, Sinti und Roma 1941, und wiederum eine völlig andere Couleur hat die Weihnachtsgeschichte auf Masematte.

Unbedingt zu erwähnen bleibt mir noch: Die Autorin Marion Lohoff-Börger ist den Auskenner*innen und Bescheidwisser*innen Münsters natürlich schon bekannt als Schreibmaschinenlyrikerin (Klick!) https://www.schreibmaschinenlyrik.de – das erklärt auch die besondere Optik der Schrift in diesem Werk; Schreibmaschinen-Style!


Das zweite Turmstubenbuch des Monats August hat zwei Autoren, der eine ist genau wie ich nicht katholisch und nicht gebürtig aus Münster, aber mittlerweile in Münster eine feste Größe, Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Der zweite Autor, Dr. Klaus von Stosch, lehrt an der Universität Paderborn Katholische Theologie und ist dort Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften.

Das Buch möchte das Verständnis von Jesus und seiner Botschaft durch den gemeinsamen Blick von Christen und Muslimen erweitern; Jesus, der Prophet, wie wird er im Koran dargestellt? Wie können diese Erkenntnisse einem christlichen Menschen zu einer Horizonterweiterung werden? In der Einleitung heißt es:

Der christliche Glaube ist wesentlich Glaube an Jesus als den Christus. Von daher ist es für Christinnen und Christen im Interreligiösen Gespräch von schwer zu überschätzender Wichtigkeit, zu erfahren, was die Gesprächspartner aus der anderen Religion von Jesus Christus halten. Auf der anderen Seite ist es aus muslimisch theologischer Perspektive eine große Bereicherung, sich mit Jesus fernab einer innerislamischen Perspektive auseinanderzusetzen. 

Ich interessiere mich sehr für religionsübergreifende Studien und meine dabei nicht allein die oft zitierte Ökumene, sondern jegliche interreligiöse Dialoge, Trialoge und Blicke über alle Heckenränder.
In verschiedenen Zusammenhängen habe ich Herrn Prof. Dr. Khorchide in Münster schon zugehört, viel von und über ihn gelesen.
Da ich den Quran wahrscheinlich trotz meines Minimal-Arabischlernens in Eigenregie niemals im „Original“ lesen können werde, interessieren mich verschiedene Interpretationen und Auslegungen in deutscher (englischer, französischer) Sprache und alles drumherum.

Auf das neue gemeinsame Buchprojekt von Khorchide mit seinem katholischen Kollegen von Stosch bin ich sehr gespannt und freue mich auf eine Lektüre mit Aha-Effekten auf dem Turm der katholischen Stadt- und Marktkirche St. Lamberti, auf der niemals nach Osten getutet wird und der Altar nach Osten gerichtet ist – zum Grabe von Jesus Christus in der multireligiösen Stadt Jerusalem hin…

Fröhliches Lesen wünscht euch eure Türmerin von Münster!