Der September 2019 ist für mich persönlich ein toller und voller Monat – lauter interessante Veranstaltungen, doch man kann einfach nicht überall gleichzeitig sein. Das Schauraum-Wochenende in Münster habe ich leider dieses Jahr verpasst (hier seht ihr beim WDR, wie’s war, falls ihr’s auch verpasst habt, klick!) – weil ich zu einem einzigartigen Großereignis von historischer Bedeutung gefahren bin – zum Stadtmauerfest nach Nördlingen, welches nur alle 3 Jahre stattfindet …
Zunächst ein Blick zurück zur Info und zum Vergleich:
Das ist Münster in Westfalen mitsamt der Stadtmauer:

Diese Stadtbefestigung gibt es heute bekanntlich nicht mehr – dafür hat Münster an ebenjener Stelle eine äußerst pittoreske Fahrrad- und Fußgängerstrecke namens Promenade eingerichtet (Das grüne Band, das ich so liebe, mein Blogartikel zum Thema, Klick!).

Diese Stadtpläne gibt es übrigens beim Vermessungs- und Katasteramt der Stadt Münster – hier geht’s zur Übersicht mit Bestellformular: Klick!
Nördlingen im Donau-Ries indes hat dank König Ludwig I. von Bayern als einzige deutsche Stadt eine Mauer mit vollständig begehbarem Wehrgang! 1826 untersagte der König nämlich den weiteren schon begonnenen Abriss. Heute sagen die Nördlinger: Super! Damals jedoch wäre vielleicht manch einer froh gewesen über Baumaterial…

Kein Wunder also, dass die heutigen etwas über 20.000 Bewohner der bayrisch-schwäbischen Stadt sich mit ihrer schönen einzigartigen Stadtmauer so wohl fühlen – das ist etwas ganz besonderes und wird deshalb alle 3 Jahre rauschend gefeiert.
2019 begeht man das 13. Stadtmauerfest unter der Schirmherrschaft des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder vom 6. bis 8. September – und ich war dabei!

Als Markus Söder gemeinsam mit dem Oberbürgermeister Hermann Faul und dessen Frau in einer vierspännigen historischen Kutsche an uns vorbeifuhr und zum Grüßen kurz anhielt, standen wir staunend am Rande der Hallgasse und freuten uns über die zahllosen Vereine und engagierten Leute, die in zwei riesig langen Umzügen alles aufboten, was Tradition und Brauchtumspflege von Nördlingen und Umgebung so hergeben. Das war Historytainment deluxe – Fanfaren, Landsknechttrommler, Fahnenschwinger, Handwerkszünfte, Sport- und Akrobatikgruppen, und und und… alles unter dem Motto: „Eine Stadt erlebt ihre Geschichte“ – toll!
Die Altstadt innerhalb der Mauer ist zum Historischen Stadtmauerfest immer autofrei – wer dennoch in Notfällen eine Ausfahrtgenehmigung braucht, muss sie erst offiziell beantragen. Auch Fahrräder habe ich nur 3 gesehen – alles Volk ist zumeist gewandet und zu Fuß, Pferd oder Wagen unterwegs, die Kleinen werden im Bollerwagen auf Lammfellen und Decken durch den bunten Trubel gezogen (und viele von ihnen schliefen ganz selig und niedlich auf ihrem weichen Lager).
Historische Karusselle, Waffenhändler, Feuerschalen – so viele tolle Eindrücke!
Dieses Fest ist für alle ein ganz besonderes Ereignis, von ganz jung bis ganz alt ist alles dabei und freut sich an allem Dargebotenen oder ist selbst an der Organisation und Darbietung beteiligt. Manche Schausteller kommen auch extra für diesen Anlass alle drei Jahre zuverlässig wieder, um das Publikum zu begeistern:
Entr’Act und Pepiloué ist ein Beispiel, die Gruppe ist unglaublich vielseitig – Musik, Akrobatik und Tierdressur stehen auf dem Programm.
Das Konzert auf der großen Bühne vor der evangelischen St. Georg-Kirche ist mitreißend durch eingängige Lieder und spektakuläre akrobatische Einlagen. Pepiloué ist mit einer Schafherde und einer großen Gänseschar am Weinmarkt dabei: Der eigentliche Star ist aber der Hütehund, der präzise und auf grundsympathische Art und Weise die Schafe und Gänse dazu bringt, in verschiedenen Formationen zu laufen und quer durchs Gewühl auch wieder zusammenzufinden.

Eine andere Gruppe, die humorvoll mittelalterlich anmutende Weisen mit Dudelsäcken und Schlagwerk darbringt, ist Fatzwerk – die Musiker setzen sich mitten in einem Stück in dramaturgischer Kunstpause bunte Sonnenbrillen aus Plastik auf, um dann richtig metalmäßig zu posen – sehr lustig!
Die Flugschau der Falkenvögel war auch etwas ganz besonderes – während der Falkner seine Vögel vorführte, hörten wir über Lautsprecher die Erklärungen der unterschiedlichen Eigenheiten zum Beispiel bei der Jagd – eine eindrucksvolle Horizonterweiterung.
Die von stimmungsvoller Musik untermalten Feuershows waren ebenfalls ein Hingucker und berührten alle Sinne.
Die Menschen von Nördlingen leben vielfältig ihre Stadtgeschichte und integrieren Neu-Nördlinger in ihre Leidenschaft für diese historische Stadt. Ein solches Spektakel hat natürlich auch sogenannte Lager, wie von Mittelaltermärkten und -Events bekannt; das Lager unserer Gastgeber war das aus dem Jahre 898 – alle Engagierten kleiden sich so wie mutmaßlich passend für diesen Zeitraum. Überm Lagerfeuer schmorte ein Hase, drumherum Strohballen und zünftige Bänke und Tische, teils überdacht mit Planen.

An jeder Ecke entdecken wir etwas Neues – eine wunderschöne Zeitreise!

Einige Menschen identifizieren sich so mit dem mittelalterlichen Spektakulum, dass sie in Zelten an und vor der Stadtmauer kampieren.
Die Mauer ist über 2 km lang und hat viele Türme und Tore.
Türmerin vor der Stadtmauer Absturzgefahr von der Stadtmauer Abendsonne auf der Stadtmauer Stadtmauer von Nördlingen Gerbergasse Der Be-See da hinten ist der Daniel! Blick auf Lagerfeuer von der Stadtmauer
Mein ganz persönliches Highlight aber war – natürlich! – der Aufstieg auf den Turm der St. Georgkirche, Daniel genannt.

Über die Nördlingen-Münster-Connection habe ich schon geschrieben, hier kann man’s nachlesen, klick!

Bei meinem jetzigen Besuch wurde ich begleitet von meinem Lebensgefährten, der auch schöne Fotos zu diesem Beitrag beisteuert – danke dafür!

Mein lieber Kollege W. G. Rangette stieg mit uns trotz Schmerzen infolge eines Fahrradunfalls die gesamten 350 verwinkelten Stufen bis hoch in die Türmerstube – Respekt! – wo wir einen weiteren Kollegen kennenlernten, R. Gotthardt, es gibt in Nördlingen tatsächlich mehrere Türmer, je nach Umständen und Nachfrage 7 Kollegen, die sicherstellen, dass der Turm immer besetzt ist. Tagsüber empfangen die Türmer die Gäste, erzählen von früher und heute, nehmen das Eintrittsgeld für die oberste Aussichtsetage in Empfang und bieten feine Postkarten an.
Abends zwischen 22 Uhr und Mitternacht rufen sie halbstündlich laut hinunter: „SO G’SELL, SO“ – und wer die Legende um das Stadttor und die Sau kennt, die den Überfall vereitelt, der antwortet dem diensthabenden Türmer rufend.
Nachts wird dann das Bett aus der Wand geklappt, und am nächsten Morgen kommen die nächsten Besucher*innen.
Auch hier oben gibt es aber einen eigentlichen tierischen Star:
Die Turmkatze Frau Wendelstein, eine dreifarbige Glückskatze.
Das hübsche Tier mit dem lieben Gesicht und der freundlichen Stimme lebt seit 2010 aus freien Stücken oben einträchtig mit den Türmern, sie bezieht auch ein städtisches Gehalt – als Taubenabwehrposten. Viele Besucher*innen aus aller Welt haben schon von ihr gehört oder gelesen und finden den spektakulären Ausblick aus über 70m Höhe eher zweitrangig – als allererstes wollen sie die Katze sehen und wenn sie es gerade mag, auch streicheln (Prinzip Katze first).

Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, dem Turm geschworen gefällt mir die Welt.
Diese Goethe-Worte stehen auch in der Türmerstube des Nördlinger Daniel; und über dem schönen Ofen aus dem Jahr 1881 mit dem Motto der Türmer „So Gesell, so“ hängt unter anderem auch ein Foto mit der Türmerin von Münster!


Ich danke unseren wunderbaren Gastgebern Susanne und Groovy und allen netten Leuten, mit denen wir in Nördlingen Kontakt hatten (ein Gruß an den Bodensee – das Schauspiel um Die Türmerin von Ravensburg steht auf der Liste!), ein Hoch! auf die Türmer-Connection; das war definitiv nicht der letzte Besuch, spätestens in drei Jahren zum nächsten Historischen Stadtmauerfest sehen wir uns wieder in der großartigen kleinen feinen Stadt Nördlingen!

Danke für die wunderbaren Beiträge.
Gruß A.Stang Maannheim
Danke für den netten Kommentar! 🙂