Jetzt habe ich eine Weile nachgedacht, was das nächste Thema für einen Beitrag sein kann auf diesem offiziellen Türmerin-Blog. Themen gibt es zuhauf – jedoch sind diese Zeiten so widrig, sie überlagern jedes Thema…
Doch nun, nach einer kleinen Umfrage unter meinen Leser:innen, möchte ich gerne etwas ohne Corona schreiben – etwas, das ich auch abseits dieser schrecklichen Pandemie schon länger aufschreiben wollte: Einen Auszug aus dem Buch „Münsters Originale. Die sich selbst ein Denkmal setzten“ von Gottfried Schäfers, erschienen 1983 im Fahle Verlag, Münster!
Beschrieben werden in diesem schönen Büchlein nacheinander Professor Landois (der illustre Zoogründer), Dine (die muntere Appeltiewe), der „tolle Bomberg„, der Ziegenbaron, der Kiepenkerl, der Polizist Felix Maria, Pinkus Müller (der singende Bierbrauer), der Türmer von St. Lamberti und Heinrich Morthorst (Bäckermeister und Brauchtumsaktivist)… [Bei Klick auf die Namen werdet ihr zu Einträgen externer Seiten mit weiteren Infos weitergeleitet.]
Türmer von Sankt Lamberti wacht über die ganze Stadt
Mancher Nachtschwärmer, besonders der auswärtige Kongreßbesucher, der sich nach des Tages Last in das bescheidene Nachtleben der Domstadt Münster gestürzt hat, wird auf dem Heimweg verwundert innehalten: Da war doch ein dumpfes Tuten zu hören?
Da sich das ungewohnte Geräusch nicht gleich wiederholt, schreibt es der Zecher den umnebelten Sinnen zu und setzt die schwankende Wanderung fort.
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In dem „Aidt- und Huldungsbuch“ der Stadt Münster von 1545, geschrieben unter Verwendung von Resten eines älteren, in der Wiedertäuferzeit vernichteten Buches, ist der Eid des Türmers aufgezeichnet.
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Rat und Oberbürgermeister der Stadt Münster haben ihr Verfügungsrecht über den Lambertikirchturm gegenüber mancherlei Ansprüchen der Pfarrgeistlichen in all den Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag energisch durchzusetzen gewußt. „Auf Grund des seit Jahrhunderten bestehenden Verhältnisses“, hieß es denn auch in einem Vertrage vom 12. Juli 1890 anläßlich des Neubaues des Turmes in seiner heutigen Gestalt, „räumt die Lambertipfarrgemeinde der Stadt Münster das dauernde Recht ein, auf dem neuen Kirchturm einen Wächter zu halten, eine Wachstube zu haben und die Brandglocke aufzuhängen“.
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Als am 31. Dezember 1922 die Geldnöte der Inflation zur Entlassung „des höchsten Beamten der Stadt“ führten, herrschte große Trauer, weil der Lambertikirchturm „seine Seele“ verlor. Bereits ein Jahr später konnte damals die Wächterstube neu besetzt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es länger, ehe der Türmer wiederkam. Erst am Nikolaustag des Jahres 1950 konnte Oberbürgermeister Gerhard Boyer den neuen Türmer Karl Greuling in sein Amt einführen.
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Nach der Dienstanweisung von 1542, die sich auf ältere Vorbilder stütze, hatte der Türmer rund um die Uhr zu wachen. Die Stunden des Tages waren durch eine Schalmei, die der Nacht durch Hornstöße anzuzeigen.
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Kriegerische Zeiten erforderten früher vom Türmer ständig besondere Wachsamkeit, damit nicht etwa aus den Hecken und Büschen draußen im Vorlande unversehens feindliches Volk in die tagsüber offenen Stadttore eindrang. Im Dreißigjährigen Krieg ordnete der Rat an, daß Verdächtige durch Trommelwirbel anzukündigen seien, um Verwechslungen vorzubeugen.
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Der historische Abriss über den Türmer der Stadt Münster
auf St. Lamberti endet mit dem damals (1983) amtierenden
Türmer Roland Mehring.
Über ihn schreibt der Autor:
Seit dem 1. Oktober 1960 ist Roland Mehring der Türmer von Münster, sozusagen der Philosoph auf diesem Posten. Er grübelt dort oben über die großen Weltreligionen und beschäftigt sich mit der Astronomie. Alle paar Jahre macht er einen längeren Urlaub. Bisher zog es ihn nach Indien. Die Turmstube ist angefüllt mit einigen Büchern, einem Stuhl, einem kleinen Tisch, einer alten Couch, an der Wand hängt die Totenmaske seines Vaters.
Roland Mehring ist Türmer geworden, weil er aussteigen wollte aus der Hektik unserer Zeit.
Verbindungen durch alle Zeiten
Immer, wenn ich über meine Vorgänger auf diesem traditionsreichen Posten lese und höre, habe ich diesen Gedanken:
Ich fühle mich ihnen auf die eine oder andere Weise verbunden, durch alle Zeiten hindurch gibt es Gemeinsamkeiten. Seien es der Hang zum Grübeln, die Liebe zur Poesie und zur Musik, die Neugier auf historische Erkenntnisse, oder auch der Wunsch, aus der Hektik unserer Zeit auszusteigen.
Jetzt in dieser pandemischen Zeit ist der allabendliche Turmdienst mein Ritual, das mich stabil hält. Auf wenig kann man sich dieser Tage verlassen – auf das Friedenssignal vom St. Lambertiturm zwischen 21 Uhr und Mitternacht kann man sich aber auf jeden Fall verlassen.
Nach Süden, nach Westen, nach Norden allen ein freundliches Tuuuut, und nach Osten (Jerusalem) ein inneres Verbeugen vor der heiligen Himmelsrichtung.
Liebe Türmerin von Münster,
das ist wieder ein ganz toller Beitrag! Es ist schön, dass es Sie gibt!
Vielen lieben Dank 🙂