Es ist nach schlimmen Geschehnissen immer sehr schwierig zu realisieren, dass die Erde sich weiterdreht, trotz allem. Mit diesem Blog möchte ich ein bisschen Licht in unsere oft düstere Zeit bringen. Aus ca. 70 Metern Höhe, mittendrin und doch aus sicherer Entfernung kommen türmerische Erkenntnisse und Gedanken zu euch. Bitte passt auf euch selbst und aufeinander auf. Ich nehme euch jetzt noch ein letztes Mal in diesem Jahr mit in mein Spezialinteresse, dem Verweben von Historischem und Gegenwärtigem …
Im Dezember vor 11 Jahren bekam ich auf meine Bewerbung bei der Stadt Münster die ersehnte Bestätigung: Mein Ansinnen, die traditionsreiche Stelle des Türmers anzutreten, würde schon am 1. Januar des Jahres 2014 Wirklichkeit werden! Die große Freude darüber ist noch präsent wie eh und je.
Die Botschaft erreichte mich am 4. Dezember – alle, die gerne mal im Heiligenkalender stöbern, werden wissen: das ist der Tag der Heiligen Barbara. Zufall oder Chiffre? Auf jeden Fall ein gutes Omen; so wie die Zweige der nach ihrer Flucht aus dem Turm ins Gefängnis gesperrten Barbara der Überlieferung nach an ihrem Todestag erblühten, so deutete ich den Tag als Hoffnungszeichen.
Und jedes Jahr um den Barbaratag herum mache ich mich auf die Suche nach Geschichten, die von diesem Tage handeln:
Gertrud Rolfes
über die Heilige Barbara
(Anfang des 20. Jahrhunderts)
(QUELLE: AUS DEM LEBEN EINE BÄUERIN IM MÜNSTERLAND, GERTRUD ROLFES BERICHTET. RENATE BROCKPÄHLER (HERAUSGEBERIN), F. COPPENRATH VERLAG, MÜNSTER 1981. HIER KOMPLETT DIGITAL LESBAR, Klick!)
Am Barbaratag schneidet man Kirschzweige und stellt sie in die Vase ins warme Zimmer. Hat man Glück, dann sind zu Weihnachten die Blüten da. Es deutet dann auf ein gutes Obstjahr hin. Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Bergleute und der Sterbenden. Das wurde uns schon in der Schule gelehrt, und folgendes Gebet wurde gebetet:
‚Sankt Barbara, du edle Braut,
mein Leib und Seel sei dir vertraut.
Sowohl im Leben als im Tod,
komm mir zu Hilf in letzter Not.
Hilf mir, daß ich vor meinem End,
Empfang die hl. Sterbesakrament.
Beim lieben Gott mir Gnad erwerb,
daß ich in keiner Todsünd sterb.
Wenn sich die Seel vom Leibe trennt,
so nimm sie auf in Deine Händ.
Bewahre sie vor Höllenpein
und führe sie zum Himmel ein.‘
Diese Zeilen kennen auch heute noch viele Menschen im Münsterland. Es wurde mir sowohl rezitiert als auch geschrieben, wann immer die Sprache auf Barbara kam. Offenbar eine zeitlose Erinnerung.
Apropos „zeitlos“:
In den Advents- und Weihnachtstagen bin ich zudem auch sehr gerne in geselligen Kreisen, wo man sich am gemeinsamen Singen erfreut, und ein fröhliches zeitloses Element aller Singkreise egal welchen Alters zwischen 3 und 99 Jahren ist der Hit „In der Weihnachtsbäckerei“ von Rolf Zuckowski. Macht euch mal den Spaß und summt es vor euch hin, wenn ihr im Supermarkt oder im Bus seid. Dieser Ohrwurm überträgt sich flott 😀
Lesen wir noch einmal von Gertrud Rolfes:
Backen und Essen zu Weihnachten
Als junges Mädchen habe ich im klösterlichen Haushalt die Küche erlernt, und als junge Frau habe ich hier mit dem Backen zu Weihnachten begonnen. Ich backte meistens einen Stollen, mit Korinthen, Rosinen, Sukade, Zimt und MandeIn. Dann einen guten Korinthenstuten und einen Rodonkuchen [Anmerkung Türmerin: bei uns hieß das Gugelhupf]. Zu meiner Kinderzeit kannte man das alles nicht, da backte meine Mutter einen großen Steinofen voll Stuten, annähernd sechs bis acht Stück, so daß wir Weihnachten satt Stuten essen konnten mit Schinken. Aber noch eines möchte ich nicht vergessen. Zu Weihnachten wurde immer ein halber Kopf und ein Stück Schinken ein paar Tage vorher gekocht. Der halbe Kopf wurde nach dem Erkalten in ziemlich dicke Scheiben, etwa 3 cm dick, geschnitten. Dann wurden die Scheiben in Essig und Zwiebeln eingelegt. Das war damals eine Delikatesse. Mancher Bauer macht es noch heute. Uns schmeckte es so lecker wie heute der schönste Braten. So lange wie mein Mann lebte, habe ich es immer noch eingehalten. Mein Vater erzählte uns mal von einem Bauern, der sich zu Weihnachten verschlafen hatte. Voller Aufregung hätte er seine Frau geweckt: „Antrin, stoh up, Mittewinter , Mittewinter , Schinken un halwen Kopp up den Herd!“ Heute wird fast kein Speck und halber Kopf mehr gegessen. Ach wie verwöhnt ist die Welt geworden, auch bei den Bauern. Nur der gute alte Schinken und die trockene Mettwurst sind noch geblieben.
Dieser Seufzer „Ach wie verwöhnt ist die Welt geworden“ ist ja ebenfalls recht zeitlos! Was ist denn eure Tradition, was das Weihnachtsessen angeht? Ich würde mich sehr über eure Erfahrungen und Vorlieben freuen, kommentiert gerne, ich lese alles gerne und sammle Anregungen und Inspirationen!
Übrigens wird gerade neben der Lambertikirche neu gebaut – hier soll der Domschatz ein neues Zuhause finden! In der Baggerschaufel befindet sich gerade eine Krippe, wie rührend 😀 Mehr dazu lest ihr z.B. bei Kirche+Leben, Klick!
Dass die Tradition, einen Baum aufzustellen, noch gar nicht so alt ist, hatte ich ja schon einmal beschrieben (zum Nachlesen hier, Erinnerungen von Augustin Wibbelt, Klick!). Auch Gertrud Rolfes, der reichhaltige Quell an authentischer Münsterland-Geschichte, hat etwas dazu hinterlassen:
Krippe und Weihnachtsbaum
Fast in jedem Haus gibt es nun eine Krippe und einen Weihnachtsbaum. Vor 40-50 Jahren gab es noch keinen Weihnachtsbaum hier. Ich habe den ersten Weihnachtsbaum gesehen, und zwar in der Schule. Mit 20 Jahren kam ich in ein klösterliches Pensionat. Hier war auch der Weihnachtsbaum. Als wir dann am ersten Weihnachtstag von der Christmesse heimkamen, führten uns die Schwestern zur Bescherung zum Weihnachtsbaum. Da haben wir dann gesungen und gesprungen um den Weihnachtsbaum. Das andere Jahr, 1921, als ich wieder zu Hause war und Weihnachten nahte, da ließ mich der Gedanke nicht los, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Wir waren indessen schon etwas fortschrittlicher geworden als es unsere Eltern waren. Einen Tannenbaum zu haben, das war nicht das SchIimmste, aber was drum und dran mußte! Fichten und Tannen hatten wir genug. Damals war auch Inflation. Wir Kinder haben uns heimlich Kugeln und Kerzen besorgt. Als wir nun den Baum fertig hatten, da war es den Eltern doch ganz recht. Es war so eine Überraschung für sie. Von da an zog der Weihnachtsbaum so langsam ins Elternhaus ein. Im Sommer 1923 habe ich geheiratet. Bis dahin war in der Familie meines Mannes auch noch kein Tannenbaum aufgestellt worden. Dafür habe ich aber dann Sorge getragen, daß jedes Jahr ein Weihnachtsbaum da war. Da haben wir, immer schöne Weihnachten gefeiert, auch zur größten Freude der Kinder. Wir hielten Weihnachtsmorgens Bescherung, denn das Christkind hatte über Nacht die Ge- schenke unter den Christbaum gelegt. Alles war ganz im bescheidenen Maße, doch hatte jeder seine Freude daran.
Der Baum wird im besten Zimmer aufgestellt und bleibt stehen bis zum Heiligen Dreikönigsfest.
Bis zum Tag der Heiligen Drei Könige, dem 6. Januar also blieb der Baum bei Gertrud stehen. Der Hintergrund: Am Sonntag nach dem Dreikönigsfest endet die Weihnachtszeit (für Katholikinnen und Katholiken). Allerdings ist dies offiziell nach meinen Recherchen erst Beschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), und einige Menschen lassen den Baum nach noch älterem Brauch sogar bis 40 Tage nach Weihnachten in der Stube stehen – dies entspricht dem katholischen Datum von Mariä Lichtmess (2. Februar)! Der Ursprung: ein aus heutiger Sicht seltsames Verständnis von „Unreinheit“ – nach dem Gesetz Mose galt eine Frau 40 Tage nach der Geburt eines Jungen als „unrein“ und brachte dem Priester ein Reinigungsopfer in Form von Taube und Lamm – dies müssen wir allerdings vor dem Hintergrund einer Erfindung des 4. Jahrhunderts sehen. Lange her… Mit dem Wissen und dem Stand unserer modernen Gesellschaft sicher befremdlich; in der damaligen Zeit aber sozusagen state of the art.
Manches aus früheren Zeiten ist schwer nachvollziehbar,
manches ganz leicht:
In diesem Sinne fröne ich der heute noch verständlichen alten überlieferten Tradition des Zeitsignal-Tutens, wenn keine Feuer drohen und wünsche euch von ganzem Herzen friedvolle Advents-, Weihnachts- und Jahreswechsel-Tage! Nun endet bald der Dezember 2024…
Wir lesen uns im Neuen Jahr wieder, gehabt euch wohl!
Eure Türmerin von Münster.
P.S. Zwei Zeichnungen in der Türmerstube von St. Lamberti mit dem sich wandelnden alten Turm, der im ausgehenden 19. Jahrhundert ersetzt worden ist – weil er sich gefährlich neigte – klasse, nicht wahr?!
Nachtrag zu deinem Text über Weihnachts essen traditionen: Bei uns in Österreich, speziell in den ländlichen bergigen Regionen gibt es am Heiligen Abend eine Nudelsuppe mit Frankfurter (Wiener) Würstchen…..bei meiner Schwester in Salzburg auch heute noch….